Teller, Janne
wir nicht machen .«
»Natürlich
können wir das«, sagte Ole.
»Nein, so
etwas tut man nicht .« Elise runzelte die Stirn.
»Ob man
das tut oder nicht, ist egal. Wir tun es einfach .«
»Das ist
ein Sakrileg«, warf der fromme Kai ein, und danach war er derjenige, der
Einwände vorbrachte, nicht Elise. »Wir ziehen Gottes Strafe auf uns«, erklärte
er. »Die Toten sollen in Frieden ruhen .«
Ruhe. Mehr
Ruhe. Grabesruhe.
Die
Einwände des frommen Kai waren umsonst.
»Wir
müssen zu sechst sein«, fuhr Ole unverdrossen fort. »Vier, die abwechselnd
graben, und zwei, die Wache halten .«
Wir sahen
uns an; keiner meldete sich freiwillig.
»Wir
losen«, sagte Ole.
Lange
diskutierten wir, wie wir losen sollten. Schließlich einigten wir uns darauf,
Karten zu ziehen. Die vier mit den höchsten Karten sollten mit auf den
Friedhof gehen. Ja, es mussten nur vier ausgelost werden, denn
selbstverständlich waren Ole und Elise zwei von den sechsen.
Ich sagte,
ich könne ohne Weiteres nach Hause laufen und ein
Kartenspiel holen, aber es wurde schon spät, und wir beschlossen, am nächsten
Tag auszulosen. Dafür sollte das Ausgraben bereits am folgenden Abend
stattfinden. Außer, es regnete.
Ich habe
immer gern Karten gespielt, und ich habe immer viele verschiedene Kartenspiele
gehabt. Sobald ich Abendbrot gegessen hatte, ging ich in mein Zimmer, machte
die Tür zu und holte alle meine Kartenspiele hervor.
Es gab die
klassischen mit Mustern in Blau und Rot, aber die waren nicht geeignet. Dann
gab es die Miniaturspiele, die schienen mir auch nicht passend zu sein. Und
auch nicht die mit den Pferdeköpfen auf der Rückseite oder die mit den Clowns
oder die, wo Buben und Könige wie arabische Sultane aussahen. Am Ende war nur
noch ein Satz Karten übrig. Der war tatsächlich sehr passend, denn die
Rückseite der Karten war schwarz mit einem dünnen Goldrand, und ich hatte das
Spiel so gut wie nie benutzt, deshalb waren die Goldränder noch ganz intakt und
glänzten. Diese Karten sollten es sein. Ich legte die anderen Spiele an ihren
Platz und breitete die mit dem Goldrand auf meinem Schreibtisch aus. Lange
untersuchte ich jede einzelne Karte. Sie hatten etwas Unheilverkündendes,
nicht nur die Bildkarten mit der hexenähnlichen Königin und dem König mit dem
bohrenden Blick und nicht nur die viel zu schwarzen Pik- und klauenähnlichen
Kreuz-, sondern auch die blauroten Karo- und Herzkarten, bei deren Anblick ich
an das denken musste, woran ich nicht denken wollte.
Oder
vielleicht fing ich auch an wackelig zu werden, wenn ich an den Sarg des
kleinen Emil dachte, der ausgegraben werden sollte.
Auf. Ab.
Und literweise von etwas, woran ich nicht denken wollte.
Ich hatte
zwei Möglichkeiten.
Entweder
konnte ich einen Zweier wegnehmen und in die Tasche stecken und dann die
Karte, die ich morgen zog, irgendwie gegen die Zwei austauschen. Oder ich
konnte einen der Zweier auf eine Weise markieren, dass ich imstande wäre, diese
Karte zu finden, wenn ich eine Karte ziehen musste, und zwar so, dass es keiner
merkte.
Auch wenn
ich nicht wusste, wie ich die Karte markieren sollte, ohne dass es den anderen
auffiel, entschied ich mich für die zweite Möglichkeit. Denn falls jemand auf
die Idee kam, die Karten durchzuzählen, ehe wir mit dem Losen begannen, wäre
ich auf der Stelle entlarvt. Deshalb war es sicherer, sie zu markieren.
Nach
langem Abwägen kratzte ich den Goldrand von allen vier Ecken bei Pik zwei.
Sicherheitshalber machte ich dasselbe auch bei den drei anderen Zweiern. Mit
etwas gutem Willen konnten die wie zufällig abgenutzt aussehen, und ich war
auf der sicheren Seite. Ich würde nicht mitten in der Nacht rausgehen müssen,
um Elises kleinen Bruder auszugraben.
Am
nächsten Tag herrschte eine sonderbar gedämpfte Unruhe in der Klasse.
Keiner
machte Witze, keiner schickte Zettel rum, und keiner warf mit
Papierfliegern. Nicht einmal, als wir in der Mathestunde Vertretung hatten.
Und doch war es laut. Stühle, die vor und zurück wippten, Tische, die erst zur
einen, dann zur anderen Seite geschoben wurden, Kugelschreiber, die an der
Tischkante kratzten, und Bleistifte, an deren Ende gekaut wurde.
Die Stunden
vergingen im Schneckentempo und zugleich viel zu schnell. Wir waren nervös
wegen des Nachmittags. Alle, bis auf mich. Ich saß ruhig auf meinem Platz und
lächelte und sammelte ein paar Pluspunkte für das Schulzeugnis, weil ich mich
als Einzige zusammenreißen und auf Lehrer
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