Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
denken, was geschehen würde, wenn sie ihm eine Abfuhr erteilte. Das würde ihn zu tief verletzen. Deshalb genoss er einfach nur ihre Nähe, ihren Anblick und schwärmte im Stillen für sie.
Es war noch immer stürmisch draußen, als Kiara das Gebäude verließ und hinaus in den Nachmittag ging. Sie musste einen kleinen Park durchqueren, damit sie zur Bushaltestalle kam. Auf einer Parkbank saß trotz des schlechten Wetters ein Pärchen, das sich eng umschlungen hielt und mit seinen Küssen die ersten Frühlingsgefühle auszuleben schien. Kiara betrachtete es beim Vorübergehen und spürte ein seltsames Gefühl im Bauch, das sie nicht ganz einordnen konnte. Es fühlte sich an wie Sehnsucht, gemischt mit Angst und einer in den tiefsten Tiefen ihres Herzens verschüttet liegenden Hoffnung auf Glück. Trotz ihrer gerade mal dreiundzwanzig Lenze glaubte sie nicht daran, dieses Glück der Liebe zu erleben. Ihr letzter Kuss lag Äonen zurück, wie auch ihr letztes Date. Sie wusste gar nicht mehr, wie er sich anfühlte, wie es war, das zarte Klopfen des Herzens zu spüren, wenn man verliebt war.
Mit einem unhörbaren Seufzer wandte sie sich vom Anblick des Pärchens ab und rannte die letzten Meter zur Haltestelle, um den Bus noch zu erreichen, der bereits um die Ecke bog.
Sobald sie darin saß, zuckelte das Fahrzeug behäbig durch die Straßen in Berlins Norden, zwischen hohen, kalten Betonbauten hindurch, wo an den Fenstern Gardinen im Wind flatterten, Graffitis an den Wänden unbekannte Gangster grüßten und politische Meinungen zu inzwischen längst gestürzten Staatsformen kundgaben. Auf den Bürgersteigen spielten Kinder unterschiedlicher Hautfarbe Fußball oder saßen gelangweilt auf den Treppenstufen. Fahrräder standen oder lagen herum. Nur einen Grünstreifen entfernt lagen zwischen grünen Bäumen und Hecken versteckt Einfamilienhäuser, schmale, pfützenreiche Straßen führten in die Idylle.
Doch der Bus bog nicht in die Einfamilienhäusersiedlung ab, sondern fuhr die Hauptstraße zwischen den Betonklötzen weiter. Zwei Haltestellen später stieg Kiara aus. Hier war sie zu Hause.
II
Auf dem Gelände am Messedamm in Charlottenburg war die Hölle los. Jedes Jahr an einem Wochenende im Frühling tummelten sich Tausende mit Reisefieber und Fernweh infizierte Menschen aus Berlin, Deutschland und der ganzen Welt während der Internationalen Tourismusbörse in den Messehallen und informierten sich über die unterschiedlichsten Reiseziele. An den Ständen gab es Spezialitäten von allen Kontinenten, Prospekte und Wissenswertes über jedes Land der Erde. Und mittendrin stand King Kong am Berliner Fernsehturm und hielt eine Schönheit in seiner Hand, um Besucher auf den Berliner Zoo... Halt! Es war genau umgedreht! Eine Schönheit stand an einem mannhohen Berliner Fernsehturm und hielt einen Plüschaffen, der King Kong darstellen sollte, in ihrer Hand, um Besucher auf den Berliner Zoo aufmerksam zu machen.
„Besuchen Sie den Berliner Zoologischen Garten!“, rief Samira Puckler in die Mengen der Besucher, die glotzend und manchmal auch lächelnd an ihr vorübergingen. Dass manche stehenblieben, mochte an dem kleinen Plüschäffchen liegen, vielleicht auch an dem lebensecht nachgebildeten Fernsehturm, aber wohl eher daran, dass Samira traumhaft schön und nur mit einem knappen Bikini bekleidet war. Ihre langen, strohblonden Haare trug sie offen über ihre schmalen Schultern, ihre eleganten Arme mit den schlanken Händen winkten den Besuchern zu, mit einer deutete sie hin und wieder auf den Fernsehturm aus Pappmaché, der nicht ganz so groß war wie sie.
„Kommen Sie, nehmen Sie sich Infomaterial zum Zoo mit“, rief sie einem älteren Mann zu, der unverhohlen auf ihren Bauchnabel starrte. Danach wanderte sein Blick nur geringfügig höher auf ihren Busen, bis ihn seine Frau ungehalten weiter zog.
„Besuchen Sie das Brandenburger Tor!“, erschallte nur wenige Meter weiter die Stimme einer jungen Frau mit langen braunen Haaren, die es an Schönheit nicht ganz mit Samira aufnehmen konnte, aber vor der dennoch ebenfalls mehrere Männer jeden Alters stehengeblieben waren, um sie zu bewundern. Worauf die beiden jungen Frauen aufmerksam machten, war dabei zweitrangig. Wer brauchte schon das Brandenburger Tor und die eingesperrten Tiere im Berliner Zoo, wenn man zwei solche atemberaubenden, lebendigen Berliner Sehenswürdigkeiten in freier Wildbahn bewundern konnte!
„Sehen Sie sich den Berliner Zoo
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