Temptation 4: Weil ich dir gehöre (German Edition)
Epstein zuvor als Morgenzimmer bezeichnet hatte. Zahlreiche Fenster gingen auf den hübschen Park und ein angrenzendes Wäldchen hinaus. Patienten, Pfleger und mehrere andere Personen – möglicherweise Familienangehörige – saßen in dem behaglich wirkenden Raum. Einige spielten Brettspiele, andere unterhielten sich und sahen aus dem Fenster. Vermutlich handelte es sich um Patienten mit weniger stark ausgeprägten Symptomen. Sie wirkten völlig klar und bewegten sich frei im Raum, ohne die Unterstützung von Pflegern oder Schwestern.
Ein kerniger, rüstig aussehender Mann, dessen hoch gewachsene Gestalt sie auf Anhieb an Ian erinnerte, erhob sich, als sie auf ihn zutraten.
»Francesca Arno, ich möchte Ihnen meinen Mann James vorstellen«, sagte Anne.
»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, meinte James und ergriff ihre Hand. »Ian hat gestern Ihren Namen erwähnt – das ist uns gleich aufgefallen, weil er sonst nur selten von Frauen spricht, was Anne und ich sehr schade finden«, fügte er mit einem belustigten Funkeln in seinen braunen Augen hinzu. »Dr. Epstein war hier mit uns zusammen, als der Anruf kam, dass Sie hier sind. Wir wussten ja nicht, dass Sie in England sind.«
»Das war auch eine sehr spontane Entscheidung.«
»Ian weiß es auch nicht?«, fragte James leicht verwirrt.
»Nein«, antwortete Francesca. Möglicherweise registrierte James ihre Besorgnis, denn er tätschelte gütig ihre Schulter, während sein Blick zu einem der Fenster schweifte, hinter dem sich der Park erstreckte. »Tja, dann wird er es wohl bald erfahren. Da kommen sie. Gütiger Himmel …«
James’ Finger krallten sich für einen kurzen Moment in ihre Schulter. Francesca, die ebenfalls zum Fenster hinausgesehen hatte, zuckte erschrocken zusammen. Ian ging neben einer zerbrechlich wirkenden Frau her, deren blaues Kleid um ihren schmerzlich mageren Körper hing. Während James gesprochen hatte, war sie herumgewirbelt und hatte Ian die Faust mit solcher Wucht in den Magen gerammt, dass sie ins Straucheln geraten war. Ian hatte sie zwar aufgefangen, doch Helen begann sich heftig zu wehren, als hinge ihr Leben davon ab.
»Schnell, rufen Sie Dr. Epstein«, wies James einen Pfleger an, der die Szene ebenfalls verfolgt hatte, dann wandte er sich ab und lief gemeinsam mit drei weiteren Pflegern zu der Tür, die nach draußen in den Park führte.
»O nein, nicht schon wieder«, presste Anne mühsam hervor, während sie und Francesca das Geschehen entsetzt verfolgten. Helen schlug wild um sich, während Ian sie zu beruhigen versuchte. Sie verpasste ihm einen heftigen Schlag gegen den Kiefer. Francescas Herz zog sich zusammen, als sie den gequälten Ausdruck auf seinem bildschönen Gesicht sah. Wie oft hatte Ian einen dieser Ausbrüche seiner Mutter mitansehen müssen? Wie oft hatte sich die freundliche, liebevolle Frau vor seinen Augen in diese gewalttätige, beängstigende Fremde verwandelt? Ein markerschütterndes Heulen drang ins Morgenzimmer – der hörbare Beweis für Helen Nobles grauenhafte Angst und die Tatsache, dass sie sich erneut im Würgegriff der entsetzlichen Geisteskrankheit befand.
»Nein«, stieß Anne mit gepresster Stimme hervor und packte sie beim Ellbogen, als Francesca Anstalten machte, nach draußen zu laufen, um Ian in dieser qualvollen Situation beizustehen.
Hilflos standen die beiden Frauen da und sahen zu, wie die drei Pfleger die wild um sich schlagende und sich windende Kranke mit routinierten Bewegungen packten und zum Haus trugen. Als sie an Anne und Francesca vorbeihasteten, erhaschte sie einen Blick auf ihr Gesicht – eine verzerrte Grimmasse mit gefletschten Zähnen und Speichel, der ihr übers Kinn rann, die blauen Augen glasig und weit aufgerissen, als wären sie auf irgendetwas Albtraumhaftes geheftet, das nur sie allein sehen konnte.
O nein , dachte sie. Das war nicht Helen Noble. Unmöglich.
Eine Schwester kam, gefolgt von Dr. Epstein, den Gang entlanggehastet. Vorsichtig legten die Pfleger die tobende Helen auf dem Boden ab, damit die Schwester ihr eine Injektion verabreichen konnte.
Anne begann leise zu weinen, während sie zusah, wie die Pfleger ihre Tochter wegtrugen. Noch immer stumm vor Entsetzen, legte Francesca ihr den Arm um die Schultern.
»Ian«, rief sie, als sie ihn an der Seite seines Großvaters eintreten sah. Sie hatte ihn noch nie so bleich und mitgenommen gesehen.
Sein Blick war eisig.
»Wie kannst du es wagen hierherzukommen«, stieß er hervor – sein
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