Tenebra 1 - Dunkler Winter
gehabt hätten, würden zum Spannen Geißfüße oder Kurbeln benötigt. Dann wäre ich tot.«
Ruanes Miene veränderte sich, wurde starr.
Ich nickte vor mich hin. Ja, verehrter Graf, ein Vollharnisch ist hübsch, aber er macht Sie nicht unverwundbar.
Drei von den Bediensteten waren tot, ein weiterer schwer verwundet und heulte wie ein Klageweib. Raol schnitt einen Bolzen aus ihm heraus. Einer der Toten war der Hufschmied, ein anderer ein Pferdeknecht. Soviel für die Kavallerie. Die anderen waren unter den Karren und Fuhrwerken in Deckung gegangen und so gut wie unbehelligt geblieben, was sie vielleicht Raol zu verdanken hatten, der mit wohlgezielten Pfeilschüssen jeden Angreifer zur Strecke gebracht hatte, der auf dem Fahrweg erschienen war. Dafür hatte er die meisten Schüsse auf sich gezogen, war aber durch Glück und gute Deckung unverletzt geblieben. Dann hatte Schwester Winterridge, die das Glück gehabt hatte, sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf der gedeckten Ladefläche eines der Fuhrwerke aufgehalten zu haben, mit der gleichen Taktik wie ich zwei weitere Angreifer ausgeschaltet. Sie war über die Heckklappe des Fuhrwerks hinuntergesprungen, hatte sich durch die Hecke geschlagen und die Angreifer im Hinterhalt aufgestöbert. Das Eintreffen der übrigen Reiter hatte dann die endgültige Wende gebracht.
Ein berittener Söldner trottete den Fahrweg heran, einen Zelter am Zügel mit sich führend. »Ich denke, wir können die meisten der Pferde einfangen, die sie raubten«, bemerkte er. »Allerdings haben wir die drei verloren, auf denen sie fortritten.«
Jetzt erst wurde mir bewusst, dass die Ersatzpferde fehlten. Die Angreifer mussten sie als Erstes weggetrieben haben. Wahrscheinlich waren es die drei Männer gewesen, die Raol im Graben und auf dem Fahrweg abgeschossen hatte.
»Und das Geld?«
Das war Silvus. Wenn sie es darauf abgesehen hatten, würde es etwas bedeuten.
»In Sicherheit, unter meinem Kutschbock.« Raol blickte von seiner Feldchirurgie auf. »Ich werde dafür aber Schlachtzulage verlangen.«
Alle nickten. Er hatte sie verdient. Das heißt, wenn man ihn als Soldaten und nicht als Koch betrachtete. Wäre nicht seine Fertigkeit im Bogenschießen und Fuhrwerklenken gewesen, würden wir jetzt sehr schlecht dastehen. Ich fragte mich, wie er dazu gekommen war, als Koch anzuheuern.
Er war ein Nordländer, aber mit dunkleren Augen als die meisten. Hoch gewachsen, breitschultrig und in Bauernleinen gekleidet. Blond, gebräunt. Und er trug diesen Bogen, den nordischen Langbogen, der einen Pfeil durch ein zollstarkes Ulmenbrett treiben konnte. Mit geübter Geschicklichkeit schnitt er den Bolzen aus dem winselnden Pferdeknecht, ohne die Wunde durch unnötiges Herumschneiden noch übler zuzurichten. Alles an ihm verriet Felderfahrung. Er war herumgekommen. Ein Soldat. Nathan konnte nordische Bogenschützen immer gebrauchen, und er zahlte gut. Was tat Raol hier?
De Lacy stieß mit düster dräuender Miene zur Gruppe. Himmel, ich hatte meine zwei vergessen. Sie könnten uns noch etwas zu sagen haben. Ich begegnete Silvus' Blick und machte eine Kopfbewegung. Er verließ die Gruppe, und wir eilten durch das Gatter zurück auf das Getreidefeld. De Lacy hatte Zeit zu einer unhöflichen Bemerkung, als wir ihn passierten, aber er musste uns folgen, wenn er weitere Beschwerden loswerden wollte.
Er wollte es. Aber Silvus schien ihn nicht zu beachten, und so tat ich es auch nicht.
Der Erste meiner Gegner war tot. Der Tritt meines spitzen Eisenschuhs hatte ihn genau ins Auge getroffen. Eisenschuhe sind wirkungsvolle Waffen. Aber der andere konnte nicht weit gekommen sein und musste eine Blutspur hinterlassen haben. Ich war sicher, dass ich ihn verkrüppelt hatte.
Das hatte ich auch. Er war nur dreißig Schritte weit gekommen, bis zur Grenze des Feldes. Dort hatte ihm jemand die Kehle durchgeschnitten.
KAPITEL V
Diejenigen von uns, die noch ein Reittier hatten, machten sich auf die Suche nach den Pferden. Wir fanden die meisten von ihnen zusammen, aber ein halbes Dutzend und zwei Maultiere fehlten. In wenigen Stunden würde es dunkel sein; die Tage waren bereits kurz. Wir mussten uns mit dem Verlust der Tiere abfinden. Jemand würde sich beglückwünschen.
Ein Glück im Unglück war für uns, dass viele Bauern im Umkreis von Hardanger ihre Felder bereits abgeerntet und für den Winter umgepflügt hatten. So standen in der Gegend genug Zugochsen zum Verkauf. Die Einheimischen waren bereit, auch
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