Tenebra 3 - Dunkle Burg
ich zu ihm aufblickte. Die Erfahrung, die ich schon gemacht hatte, als ich durch die Augen eines Vogels mein eigenes Gesicht gesehen hatte, war interessant gewesen, und ich wollte sie wiederholen. Aber als er herabspähte und ich seine Augen gebrauchte, sah ich nicht zwei Leute auf dem Hügel, sondern drei. Der Dritte befand sich oben auf dem Rücken. Wir saßen fünfzig oder sechzig Schritte tiefer hinter einem Dickicht und starrten in die andere Richtung. »Jonna«, sagte ich aufgeregt. »Jemand ist hinter uns. Er nimmt unsere Sachen, ich bin ganz sicher!«
Ihre Miene blieb unverändert. »Pst!«, machte sie. »Warte. Ganz gleich was du hörst – und du musst scharfe Ohren haben –, bleib hier und sag nichts.«
Ich starrte sie verblüfft an. Dann verwünschte ich mich. Beinah hätte ich verraten, dass ich das Talent besaß. Jonna war nett, und diese Leute waren alle freundlich, aber ich glaubte nicht, dass es dabei bliebe, wenn sie wüssten, dass ich eine Magierin war, die Umgang mit dem Dunkel hatte. Ich ließ mir nichts anmerken und beobachtete das Geschehen auf dem Hügel durch die Augen des Raubvogels.
Die Person dort oben war ziemlich klein, wie es schien, von rötlichbrauner Hautfarbe, und bewegte sich langsam. Der Bussard konnte Einzelheiten erkennen, aber er blickte von oben herab, und aus diesem Blickwinkel ist es schwierig, etwas über das Gesicht einer Person zu sagen. Ich konzentrierte mich darauf, die Gestalt klarer zu sehen, und als ich es tat, wurde mir nach und nach der Gang seiner Gedanken bewusst.
Was? Das war nicht recht. Ich konnte nicht in das Bewusstsein einer anderen Person eindringen, wie ich in das Bewusstsein eines Tieres eindringen konnte. Menschen waren wie Festungen. Hart wie Stein, boten keinen Zugang zu ihrem Denken. Aber dies…
Es war ein Mann. Ich konnte in einer Weise seine Gedanken hören. Nicht die Worte, aber seine Empfindungen. Er rechnete und wog den Feldsalat und die Kräuter gegen flüchtige Bilder anderer Waren und Ideen ab, und alles das schwirrte durch seinen Kopf wie das Glänzen von Sonnenlicht auf bewegtem Wasser.
Er überlegte, was und wie viel er als Zahlung anbieten sollte. Die Sonne schien ihm warm auf den Rücken – was ihn irritierte. Ohne einen Augenblick nachzudenken, gab ich ihm das angenehme Empfinden ein, das ich selbst in der sanften Wärme der Frühlingssonne verspürte. Und plötzlich sah er es in anderer Weise und fühlte, was ich fühlte – und dachte in diesem Augenblick, wie ich dachte.
Dann fielen mir Teskas Worte ein, dass ich Tiere verändern könne, ihr Bewusstsein und ihre Körper, und dass Kobolde auch zu den Tieren zählten.
Das war ein Kobold. Ich konnte ihn verändern an Geist und Körper. Ich konnte machen, dass er mich liebte und mir gehorchte, wie Chloe mich liebte und mir gehorchte. Ihm würde es nichts ausmachen, dass ich eine Magierin war. Oder vielleicht würde es ihm doch etwas ausmachen, aber es wäre ohne Bedeutung.
Ich saß und dachte, und unterdessen beendete er seine Arbeit. Er stand über die Steinplatte auf den Hügel gebeugt und ich hörte seine Gedanken, wiederum nicht in Worten, aber als eine Serie von Bewegungen mit Hand und Fingern. Der Schlüssel zu seinem Loch.
Und der Stein hob sich wie der Deckel einer Truhe und darunter öffnete sich ein schmaler und niedriger Gang, der ins Innere des Hügels hinabführte. Er packte Jonnas Tauschwaren in einen eigenen Korb und wählte seine Bezahlung aus einem kleinen Stapel, der neben dem Eingang im Inneren des Ganges bereitstand: ein Sägeblatt, eine kleine Flasche. Er legte sie vor den Stein und zog sich in die kühle Dunkelheit zurück – mit einem Gefühl von Erleichterung, das ich deutlich spüren konnte. Die Steinplatte schloss sich hinter ihm.
Ich konnte kaum erwarten, was als Nächstes geschehen würde, aber Jonna blieb sitzen, bis sie sicher war, dass der Tauschhandel abgeschlossen war. Der Wind strich seufzend über den Kamm und die Gräser beugten sich. Ich rückte unruhig auf meinem Platz.
Endlich stand sie auf und wir erstiegen wieder den Pfad zur Anhöhe. Unsere Tauschware war verschwunden, und ich dachte daran, Überraschung vorzutäuschen und noch größere Überraschung zu äußern, als ich die Dinge sah, die neben dem Stein niedergelegt worden waren. Jonna zeigte sich erfreut.
»Die Unterirdischen sind großzügige Tauschpartner im Handel«, sagte sie. »Ein feines Sägeblatt, wie wir es für die Planken brauchen, die wir schneiden werden, sobald
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