Tentakel-Trilogie 3: Tentakelsturm
bewaffnete Gesellschaft ist eine höfliche Gesellschaft.«
Leon schüttelte den Kopf. Der Veteran schien an dieser Entwicklung fast so etwas wie Freude zu haben. Leon konnte jedoch an alledem nichts Erfreuliches finden. Er stellte die Tragetasche auf die Räder und versuchte, Helm und Schutzweste an ihr zu verstauen. All dies bis nach Hause zu schleppen, würde eine nicht geringe Kraftanstrengung bedeuten.
»War das alles an Ausrüstung?«
Der Sergent nickte. Er hatte wohl ebenfalls das Interesse an dieser Konversation verloren und schaute den Nächsten in der Schlange auffordernd an.
Leon verließ das Depot. Draußen warteten weitere Einberufene. Viele ältere Männer, so wie er, aber auch blutjunge Kids, die das Ganze offenbar als eine Art besonderes Abenteuer ansahen, sich gegenseitig ihre Waffen zeigten, die sie ostentativ bei sich trugen.
Leon wandte sich ab.
Der Weg die Straße hinunter bis zur Haltestelle der Monorail, die ihn schließlich in eines der Vorortviertel bringen würde, in dem er eine kleine Mietwohnung bewohnte, war lang. Genug Zeit, forschende Blicke auf sich zu ziehen. Leon war nicht der Einzige, der militärische Ausrüstung mit sich herumschleppte. Seit die Bewaffnungsaktivitäten begonnen hatten, waren überall Waffen im Straßenbild aufgetaucht, und täglich wurden es mehr. Es gab aber durchaus Abstufungen: Jene, die nicht als zumindest grundsätzlich diensttauglich eingestuft wurden, erhielten leichte Handfeuerwaffen und alte Sturmgewehre aus den unendlich erscheinenden Depots des Militärs. Manche dieser Waffen waren seit Jahrzehnten nicht mehr abgefeuert worden, und niemand wusste, ob sie eine größere Gefahr für die Aliens oder für ihre Träger darstellten. Wer Glück hatte, erhielt eine der neu gefertigten Schrotflinten, die gemeinhin »Jackhammer« genannt wurden und auf einem alten Design beruhen sollten. Dann war da die Kategorie derjenigen, die letztlich der Wehrerfassung in die Fänge gerieten, Leute wie Leon Shiver und seine Arbeitskollegen. Sie erhielten eine formelle Einberufung in eines der Reservistenbataillone und eine umfassendere Ausrüstung, von der zumindest die Waffen neu waren. Im Grunde wurde von diesen Reservisten kein gemeinsamer Kampf unter einem Oberkommando erwartet. Sobald die Invasion begonnen hatte, würde man sie in kleinere Einheiten aufteilen und hoffen, dass sie im Gewirr urbaner Zentren so viel Schaden wie möglich bei den Tentakeln anrichten würden. Auch die ländlichen Gebiete waren mittlerweile voller Bewaffneter, und man hatte alles unter Waffen gestellt oder einberufen, was irgendwie logisch klang – vom Schützenverein über die lokale Feuerwehr bis hin zu Sportclubs. Sogar die Parteijugend der Vereinten Kolonialpartei, sonst als finstere Schlägertruppe bekannt, hatte man nicht ausgelassen. Gestern erst war die »Brigade Beverly Splett« unter großem Getöse durch die Hauptstraßen marschiert, angetan mit einer eigenen Fantasieuniform. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, wenn diejenige Politikerin, die mit ihren Friedensverhandlungen so drastisch gescheitert war, nun ihren Namen für die militarisierten Freiheitskämpfer ihrer Partei hergeben musste. Andererseits, so vermutete Leon, hätte ihr der Aufmarsch sicher gefallen. Vor allem die großen Poster mit ihrem verkniffenen Gesicht, das die »Brigade« vorneweg hochgehalten hatte.
Als Leon die Monorail betrat, musste er versuchen, sein Gepäck in der eng besetzten Bahn unterzubringen. Niemand beschwerte sich. Er war nicht der Einzige, der Rucksack und Tasche zu balancieren versuchte. Ein Mann direkt neben ihm, mit einem noch dickeren Bierbauch als Leon selbst, hatte beides aufeinandergestapelt und gegen eine Haltestange gelehnt. Leon tat es ihm gleich. Sieben Stationen, etwa fünfzehn Minuten.
Seine Frau würde sich auch nicht beschweren. Sie war bereits vor einer Woche bewaffnet worden, hatte eine Jackhammer mit einigen Magazinen, einen alten Militärhelm und eine antike Panzerweste im Schrank stehen. Leon hatte sie dabei beobachtet, wie sie alles verstaut hatte, und diese stille Entschlossenheit, mit der sie dabei vorgegangen war, hatte sich ihm tief eingeprägt. Es war eindeutig, dass seine Frau von der festen Absicht getrieben wurde, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, wenn es denn soweit sein sollte.
Wer war dann er, daran zu zweifeln?
9 Luna
»Sie sind also die Heldin von Lydos, Capitaine!«
Rahel wusste nicht, was ihr mehr missfiel: dass sie mit ihrem
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