Tentakelwacht
noch unausweichliche elektronische Fußfessel verpassen und verschwand zu angemessener Zeit, darauf bedacht, die Trauben der anderen, zumeist vergnügungssüchtigen Freigänger zu vermeiden. Nach einem langen und scheinbar orientierungslosen Spaziergang durch die Innenstadt setzte er sich schließlich in Richtung des Treffpunktes ab, der auf dem Zettel gestanden hatte.
Er war die vergangenen Tage über zunehmend neugierig geworden. Tief in sich verspürte er das Verlangen, mehr zu tun, als nur darauf zu warten, dass die Tentakel wieder angriffen. Vielleicht wollte er in alledem einen Sinn erkennen oder sich selbst einen schaffen, etwas, das über die reine Befriedigung des Überlebensinstinktes hinausging. Seines ursprünglichen Plans, sich so schnell wie möglich abzusetzen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab, war er sich jedenfalls nicht mehr so sicher wie noch vor ein paar Wochen.
Gegen 15 Uhr hatte er den Bezirk erreicht, in dem die auf dem Zettel stehende Adresse lag. Es war nicht nur ein Randbezirk, es war auch sicher nicht die beste Nachbarschaft. Nachts mochte hier mehr los sein – es gab einige geschlossene Bars und Klubs –, aber tagsüber wirkte hier alles schlicht trostlos, etwas heruntergekommen, ärmlich. Viele Ladengeschäfte waren verlassen, die wenigen Passanten wirkten verhärmt, und die üblichen Straßenjungs schienen auch eher lustlos zu sein. Sei es, dass hier generell die Luft raus war, sei es, dass die drohende Invasion dafür sorgte, dass die Stimmung gedrückt blieb, Roby fühlte sich an sein eigenes Viertel erinnert, nur … ohne jedes Feuer. Da war nichts. Es war Tristesse und völlige Energielosigkeit. Roby ertappte sich dabei, wie er begann, Langeweile zu empfinden.
Die Adresse auf dem Zettel war ein unscheinbares Geschäftshaus, eingezwängt zwischen zwei weiteren, darunter eine Lagerhalle. Es gab eine verwaschene Neonreklame an der Wand, deren Beschriftung niemand mehr entziffern konnte. Die Treppe, die zum halb überdachten Zugang führte, war bröckelig. Selbst die allgegenwärtigen Graffiti machten den Eindruck von Zerfall. Roby fühlte sich langsam depressiv.
Er stand vor der Tür und suchte nach einer Türklingel. Doch stattdessen öffnete sich die Tür von selbst, was darauf schließen ließ, dass die Bewegungen auf der Straße aufmerksam beobachtet wurden. Der Zugang lag im Halbdunkel, aus diesem trat die junge Frau, die ihm den Zettel zugesteckt hatte. Er reichte ihr diesen kommentarlos. Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand.
Er fühlte sich verpflichtet, sie auf die elektronische Fußfessel hinzuweisen, lupfte ein Hosenbein, damit sie erneut einen klaren Blick auf das metallene Band werfen konnte. Sie musste es bereits gesehen haben, als sie ihm den Zettel gegeben hatte, dessen war er sich sicher.
Sie blickte hinunter, nickte, öffnete die Tür vollends und machte eine einladende Geste.
Roby verkniff sich ein Schulterzucken und trat ein.
Seine Augen gewöhnten sich an die schwache Beleuchtung. Ein Gang mit abblätternder Farbe, ein Linoleumboden, der einen scharfen Geruch ausströmte, wahrscheinlich desinfiziert. Eine einzige Tür, halb geöffnet, dahinter ein schwacher Lichtschimmer. Roby trat ein. Er fand sich in einem großen Zimmer voller Stühle wieder. Ein wildes Sammelsurium vom Sperrmüll, wie er fand, kein völlig ungewohnter Anblick, wenn man da herkam, wo Roby einst lebte. Etwa dreißig Menschen waren hier bereits versammelt. Roby verschaffte sich einen Überblick. Es waren einige weitere Rekruten dabei, aber niemand von seiner Einheit. Er erkannte auch zwei Milizionäre, dann junge Männer, die recht eindeutig Straßengangs zuzuordnen waren. Zivilisten undefinierbarer Herkunft. Zwei Männer in feinen Anzügen, die völlig deplatziert wirkten und etwas furchtsam in einer Ecke hockten. Vorne ein aus Bananenkisten gezimmertes Rednerpult mit einem Mikrofon, derzeit noch verwaist. Auf einem Plastiktisch ein Haufen Plastikbecher und Flaschen mit Wasser und billigen Softdrinks. Kein Alkohol, wie Roby sofort erkannte. Eine Party sollte das hier schon einmal nicht werden.
Er nahm auf einem schäbigen Holzstuhl Platz, der unter seinem Gewicht übel zu knirschen begann. Sein Nachbar war ein fettleibiger und schwitzender Mann Ende 40, der ihn keines Blickes würdigte. Roby fühlte sich sofort wohl. Er blickte auf die Uhr. Es war noch nicht ganz 16 Uhr, also wartete man sicher auf weitere Gäste. Er versuchte, sich zu entspannen.
Nach etwa zehn Minuten, die Zeit
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