Terminal 3 - Folge 1: Sterben hat seine Zeit. Thriller (German Edition)
dürfen.«
Ich schaue sie ein letztes Mal an.
Sie erinnert mich an Susan.
Die Klinge verrichtet ihren Dienst.
Ich gehe auf dem Green Hill Boulevard stadteinwärts. Die Bürgersteige sind dunkel und leer. Ich habe keine Trolleys gefunden, nur zwei Hartschalenkoffer. Ihre Räder stehen zu dicht beieinander, der Gehweg ist zu uneben, ich muss die Koffer tragen, ziehen geht nicht. Den roten trage ich in der Linken, den blauen in der Rechten. Schweiß läuft über mein Gesicht, ich friere. Mein Jackett ist zu dünn für diese Uhrzeit. Ab und an schwenkt ein Paar Scheinwerfer entlang der Vorgärten, verblassen Bremslichter in der Ferne. Am Ende der Straße schiebt sich ein blassgrauer Streifen in die Schwärze der Nacht. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.
Ich kann kein Taxi rufen, nicht von meinem Mobiltelefon aus. Das Risiko wäre zu groß, ich bin noch zu nah an Angelas Haus. So was kann später alles nachverfolgt werden.
Die Koffer werden immer schwerer. Vor allem der blaue. Meine Schultern brennen, meine Oberarme schreien. Zwei Scheinwerfer biegen aus einer Seitenstraße, und ich lasse die Koffer fallen, reiße die Arme hoch und brülle: »Hey, hey, hey«, bis das Taxi neben mir am Bordstein hält. Der Fahrer, ein dicker Kerl mit Glatze, öffnet seine Tür, aber ich sage: »Nein, nein, das geht schon« und wuchte die Koffer in den Kofferraum. Ein süßlicher Geruch geht von ihnen aus. Ich muss mich beeilen.
Das Wageninnere riecht nach Vanille. Der Fahrer setzt den Blinker, fährt los.
»Zum Flughafen?«, fragt er und glotzt in den Rückspiegel.
Ich nicke. »Zum Flughafen.«
Ich schaue nach draußen auf die dunkelgrauen Bäume, Büsche und Häuser und warte auf den Rausch. Auf das Gefühl der Freiheit, der Genugtuung. Doch es bleibt aus, nichts passiert. Ich fühle mich leer und müde. Noch mehr als zuvor. Vielleicht liegt es daran, dass es dieses Mal anders war, vielleicht ist das der Grund. Ich hoffe es.
»Wohin soll's denn gehen?«, fragt der Fahrer.
Ich schaue in den Rückspiegel. »Zum Flughafen. Das sagte ich doch bereits.«
»Nein«, sagt der Fahrer. »Ich meine die Reise. Wohin soll die Reise denn gehen?«
»Nach Rio«, sage ich, weil ich in Rio die glücklichste Zeit meines Lebens verbracht habe.
»Da wäre ich jetzt auch gerne«, sagt der Fahrer. »Strand, Palmen, schöne Mädchen. Was halten Sie davon, wenn wir tauschen?« Er grunzt. »Sie fahren für mich Taxi, und ich kriege Ihre Koffer und fliege damit nach Rio.«
Ich überlege einen Moment. Dann sage ich: »Ich weiß nicht, ob Sie das glücklich machen würde. Nein. Glauben Sie mir, das wäre das Letzte, was Sie sich wünschen sollten.«
Der Fahrer grunzt. »Na, wenn Sie das sagen.«
Er lenkt den Wagen schweigend über die verlassenen Straßen der Randbezirke. Ich lege den Kopf an die kalte Scheibe und schließe die Augen. Einige Minuten später halten wir vor Terminal drei, und ich bezahle.
»Dann mal gute Reise«, sagt der Fahrer, als ich aussteige.
Von langen Schatten begleitet, schleppe ich die Koffer zu meinem Wagen und hieve sie in den Kofferraum. Ich setze mich hinters Steuer und stecke den Schlüssel ins Zündschloss. Im Rückspiegel geht die Sonne auf. Meine Sicht verschwimmt, etwas tropft von meinem Kinn. Ich wische mir über die Augen.
Es hat sich etwas verändert, denke ich. Es muss sich etwas verändern.
Lennard Fanlay
Ich fahre nach Hause, schlafe. Die Spinne ist nicht mehr da. Vielleicht ist sie weggelaufen. Ich könnte es ihr nicht verdenken.
Am nächsten Tag warte ich auf den siebten Koffer, doch er kommt nicht. Auch am darauffolgenden Tag nicht. Ich warte. Sonst tue ich nichts.
Die Koffer und die Leichen verschwinden von den Titelseiten.
Abends sitze ich in Bookbinder's Bar und trinke Orangensaft. Es ist still. Genauso wie es früher war, vor den Koffern. Die Leute sitzen auf den Barhockern und trinken. Leise Gespräche, ab und an ein Lachen. Als wäre nichts geschehen.
Bookbinder steht vor mir und verschränkt die Arme. »Alles in Ordnung, Leo?«
»Ich sollte nach Hause fahren«, sage ich. »Es ist spät.«
»Ja, vielleicht solltest du das.«
Ich schaue auf. »Kennst du den Witz von dem Einbeinigen, der sich versucht, sich freizutanzen?«
»Der versucht, sich freizutanzen?«
»Ja.«
Bookbinder schüttelt den Kopf. »Nein, kenne ich nicht.«
»Eigentlich ist der auch gar nicht witzig«, sage ich und trinke.
Und dann hören wir die Schreie.
Ich drehe mich um, und die Schreie werden mehr, werden lauter,
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