Terra Anchronos (German Edition)
südlich des Äquators, willkommen.“
Er trat ein wenig zur Seite und machte Platz für eine Gestalt, die mit freiem Oberkörper und langen schwarzen Haaren auf Arne zuging. Arne erkannte sofort den dickbäuchigen Smutje, auch wenn der eine Perücke trug und das Gesicht mit grüner Farbe angemalt hatte. In der einen Hand schwenkte er einen Dreizack, in der anderen hielt er ein Pergament, aus dem er mit feierlicher Stimme vorlas.
„Ich, Neptun, Herrscher aller Meere, bin den Menschen wohlgesonnen. Als Zeichen dafür, dass du, Arne, mein südliches Reich befahren darfst, werde ich dich feierlich taufen. Es wurde mir zugetragen, dass du der beste Freund des Smutje bist und einen wahrhaft gesegneten Appetit hast. Kein Krümel Brot fand auf dieser Reise bisher Gelegenheit zu vertrocknen. Dein Teller war immer leer gegessen und du hast die Kombüse nie ohne Proviantpäckchen verlassen.“
Der Dreizack senkte sich erst auf Arnes linke, dann auf die rechte Schulter.
„Daher taufe ich dich feierlich auf den Namen Putzerfisch.“ Mit diesen Worten senkte er den Dreizack auf Arnes Kopf. Im selben Augenblick wurde ein Eimer Meerwasser über Arne ausgeschüttet und die Mannschaft brach in lauten Jubel aus. Zur Feier des Tages gab es das auf deutschen Schiffen traditionelle Äquatoressen: Eisbein mit Sauerkraut.
Arnes Mutter stöhnte. „Wie kann man nur“, meinte sie. „Bei dieser unerträglichen Hitze.“
Der Junge ließ sich davon nicht beeindrucken und langte ausgiebig zu. Als er satt war, bat er den Smutje, ihm doch bitte eine große Portion für später in den Kühlschrank zu stellen.
„Du machst deinem Namen alle Ehre“, meinte der Koch lachend. Er hatte immer noch Reste grüner Farbe im Gesicht.
Langsam machte sich Wehmut bei den Kindern bemerkbar. Immer öfter herrschte bedrücktes Schweigen, wenn sie auf Arnes Kammer beisammensaßen.
Die Datumsgrenze war zum Greifen nahegekommen und der Abschied in absehbarer Zeit. Der Beweis lag vor ihnen. Auf dem Fußboden der Kammer hatte Arne eine Seekarte ausgebreitet, auf der die Datumsgrenze und der 180. Längengrad eingezeichnet waren. Der Kapitän hatte die Karte entbehren können. Die Zeiten, in denen Seeleute nur auf Karten und die Sterne angewiesen waren, gehörten längst der Vergangenheit an. Das Navigieren über die Weltmeere übernahmen inzwischen Computer, die von Satelliten im Weltraum Informationen über die genaue Position des Schiffes erhielten.
Seit drei Tagen studierten Arne und Martha nun schon die Karte. Mit spitzem Bleistift hatte Arne Kreuze hineingemalt, die mit Datum versehen den Fortschritt der Reise dokumentierten.
„Nicht mehr lange“, seufzte Arne und sah Martha an.
Das Mädchen nahm ein Lineal und maß die Strecke, die das Schiff jeden Tag bewältigte.
„Noch vier Tage“, sagte sie, legte das Lineal am 180. Längengrad an und deutete mit dem Finger auf das letzte Kreuz, das Arne gemalt hatte.
Verwundert sah Arne das Mädchen an. „Wieso vier Tage? Ich habe zwei ausgerechnet.“
Arne nahm das Lineal und legte es auf die gestrichelte Linie, mit der die Datumsgrenze gekennzeichnet war.
Nach wenigen Augenblicken war beiden Kindern klar, warum sie in ihren Berechnungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Südlich des Äquators wich die Datumsgrenze vom 180. Längengrad ab. Sie machte einen Knick und verlief nicht wie der 180. Längengrad, dicht an den Fidschi-Inseln vorbei, sondern war weiter östlich, in der Nähe von Samoa, eingezeichnet.
Es dauerte eine Weile, bis Martha und Arne sich über die Bedeutung dieser Abweichung bewusst wurden.
„Ich dachte, die Datumsgrenze ist der 180. Längengrad“, sagte Martha verzweifelt. „Du hast es mir doch erklärt.“
Arne war am Boden zerstört.
„Das dachte ich auch“, flüsterte er fast tonlos. „Aber an dieser gestrichelten Linie steht doch eindeutig das Wort Datumsgrenze.“
„Wann soll ich denn springen? Wo ist das Loch in der Zeit wirklich?“ Blankes Entsetzen lag in ihrer Stimme. Tränen rannen über die Wangen des Mädchens.
„Wenn du hier springst“, sagte Arne nachdenklich und deutete mit dem Finger auf die gestrichelte Linie der Datumsgrenze, „kann es passieren, dass du ertrinkst.“
„Und wenn ich hier springe“, Martha deutete auf den 180. Längengrad, „bin ich vielleicht auch tot. Das ist doch ein reines Glücksspiel. Entweder ich springe zu früh oder zu spät. Beides kann mein Verderben sein.“
„Und wenn du genau in der Mitte zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher