Terra Anchronos (German Edition)
Martha werfen können, die in geringer Entfernung unter ihm ins Bodenlose zu fallen schien. Doch inzwischen war dem Jungen jede Orientierung abhandengekommen. Oben und unten vermochte er nicht mehr zu unterscheiden. Wie Blitze zuckten Farbstrahlen an seinem Auge vorbei und tauchten den Tunnel in ein grellbuntes Licht.
Wie rasend die Fahrt auch begonnen haben mochte, sie endete sanft und ohne schmerzlichen Aufprall, den Arne insgeheim erwartet und befürchtet hatte. Behutsam, als ob eine Mutter ihr kleines Baby auf dem Boden absetzt, nahm die Reise ein Ende. Arne wusste nicht, wie lange sein Fall gedauert haben mochte.
Ihm war sofort klar, dass er jegliches Empfinden für Zeit verloren hatte. Vorsichtig machte er einen ersten Schritt und stellte beruhigt fest, dass er festen Boden unter den Füßen spürte.
Das Erste, was Arne in der Terra anchronos erblickte, war das erstaunte und grenzenlos ungläubige Gesicht seiner Freundin Martha. Schnell wandelte sich ihre Verwunderung aber in ein strahlendes Lächeln.
„Du hast es tatsächlich getan“, sagte sie und umarmte den Jungen.
„Was dachtest du denn?“ Arne sprach, als sei es die selbstverständlichste Angelegenheit der Welt, mitten im Pazifik über Bord zu springen.
„Ich habe nicht damit gerechnet, dich jemals wiederzusehen.“
„Aber gehofft hast du es doch wenigstens?“ Arne sah Martha in die Augen und strich ihr eine blonde Locke aus der Stirn.
„Ich habe es mir heimlich gewünscht.“ Martha wich Arnes Blick aus.
„Warum hast du es denn nie gesagt?“
„Das konnte ich doch nicht, Arne. Du wirst deine Eltern nie wieder sehen. Dein Leben auf der Erde ist beendet. Das konnte ich doch nicht von dir verlangen.“
„Daran habe ich nicht einen Augenblick gedacht“, erwiderte Arne mit einem gequält wirkenden Lachen.
Es war deutlich zu erkennen, dass der Gedanke dem Jungen schwer zu schaffen machte. Doch dann drängte er die schreckliche Vorstellung mit einem ärgerlichen Kopfschütteln zurück. „Jetzt zeig mir erst einmal die geheimnisvolle Terra anchronos. Ich bin neugierig.“
„Wir müssen vorsichtig sein, Arne.“
„Warum denn das?“
Martha fuhr herum und bedeutete Arne mit dem Finger, zu schweigen. Dann hörte auch Arne die schweren Schritte. Ihm blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen.
„Weil ich nicht weiß, wie der Navigator reagiert“, flüsterte Martha, während sie mit dem Arm auf einen Gang zeigte, der nicht weit von ihnen in dem Raum mündete, in dem sie sich befanden. Es waren römische Legionäre, die im Gleichschritt auf Arne und Martha zukamen.
„Soldaten des Julius Cäsar“, hauchte Martha ihrem Freund hinter vorgehaltener Hand ins Ohr.
Die ledernen Brustharnische der Legionäre glänzten in dem orangefarbenen Zwielicht, an das Arnes Augen sich erst gewöhnen mussten. Manche der Männer trugen ein Pilum, den Wurfspeer der Römer. Andere hatten ein Schild, das sie vor sich hielten. Darunter waren die geschnürten Lederschuhe zu sehen, die Arne aus Büchern kannte. Vor den Soldaten, die beim Marschieren peinlich auf ihre Formation achteten, schritt ein Römer, der an einem langen Stock ein Schild mit der Aufschrift SPQR in die Höhe hielt.
„Senatus populusque romanum, der Senat und das römische Volk. Unglaublich!“ Mehr brachte Arne vor Staunen nicht heraus.
Die Truppe bog scharf ab und verschwand durch einen anderen Gang aus dem Blickfeld der Kinder.
„Du hast mir nicht zu viel versprochen“, murmelte Arne, als Martha ihn am Ärmel mit sich zog.
„Wo gehen wir hin?“
„Zur Versammlungshalle. Meistens ist der Navigator dort zu finden.“ – „Ist es weit?“
Martha schüttelte den Kopf. „Die Halle ist unter der Nordsee. Dort, wo auch die Faulkammer ist, von der ich dir erzählt habe.“
„Das nennst du nicht weit? Martha! Wir sind am anderen Ende der Welt ins Wasser gesprungen. Das dauert ewig, bis wir die Strecke geschafft haben.“
„Du vergisst, dass Zeit keine Bedeutung hat. Glaub mir! Du wirst nicht in der Lage sein, bis zehn zu zählen, und wir sind schon da.“
„Unmöglich!“, rief Arne.
„Es ist ganz einfach. Stell dir einen Hausflur vor, von dem viele Türen in andere Räume führen. Wenn du weißt, wohin du gehen möchtest, trittst du einfach durch die Tür und bist da. So ähnlich ist es auch in der Terra anchronos.“
Martha deutete auf einen Gang ganz in ihrer Nähe und zog Arne mit sich. Es war stockdunkel in dem engen Tunnel, der nach Marthas Aussage in die
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