Terra Mater
und seine Freunde – alles junge Adelige wie er – von der Untergrundbewegung Mashama (Ursprung auf Altsyracusisch) hatten von ihrer Zukunft eine ganz andere Vorstellung. Sie wollten nicht zu Hofschranzen werden, zu jenem Kreis hohlköpfiger Gecken gehören, zu denen man sie hatte erziehen wollen. Also suchten sie im Schutz ihrer Gedankenhüter und in den Schatten der Zweiten Nächte die alten Werte syracusischer Kämpfer in den Zeiten der Eroberung wiederaufleben zu lassen.
Die letzten Logen schwebten an ihre angestammten Plätze. Die obersten Ränge verschwanden fast zwischen den künstlichen Sternen an der Decke, den Holovisionkameras und den mobilen Licht-Kugeln.
Die bedeutendsten Persönlichkeiten des Ang-Imperiums waren nun versammelt: die Kardinäle des Episkopats, die Kardinäle der zweihundert Hauptplaneten, die Adelsfamilien als Hüter der Etikette und der Tradition, die Offiziere höheren Rangs der Interlist (meistens Pritiv-Söldner), die Berater des Kaisers, die Abgeordneten der Gilden und die
berühmtesten Künstler, Sänger, Maler, Musiker, Bildhauer, Tänzer und Holoasten … Sie alle wurden, je nach dem Grad ihrer Bedeutung, von einem, zwei, drei oder vier Gedankenschützern begleitet.
Die Zeremonienmeister traten rechts und links neben die Hauptbühne – ein mit wechselnden holographischen Mustern geschmücktes Podium. Die Licht-Kugeln erloschen eine nach der anderen. Die Holovisionkameras liefen.
Der riesengroße Saal war in ein diffuses Halbdunkel getaucht, das nur von leuchtenden Fontänen, die aus dem Boden aufstiegen, unterbrochen wurde. Dann flammten die mobilen Projektoren auf und richteten ihre Strahlen auf die Bühne.
Eine Tür im Hintergrund glitt zur Seite. Heraus trat der Seneschall Harkot in seinem königsblauen Mantel, dessen weit geschnittene Kapuze mit einer schwarzen Borte gesäumt war. Sofort breitete sich eine tödliche Stille in dem Empfangssaal aus. Der Seneschall schritt zum Rand der Estrade und blieb vor den Logen stehen. Wie üblich, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte – was immer seltener geschah –, war sein Kopf vollständig von der Kapuze verhüllt. Nur das Glühen seiner schwarzen Augen war zu erkennen.
Marti de Kervaleur war nie die Ehre zuteil geworden, das Antlitz des Seneschalls Harkot zu betrachten, doch das war ein Privileg, das er gerne anderen überließ. Eines Tages hatte er zufällig das Gesicht seines Gedankenschützers gesehen und war entsetzt über das monströse Aussehen des Scaythen gewesen: eine wie von Pocken vernarbte grünliche Haut, ein kahler, zerbeulter Schädel, hervorstehende Augen ohne Iris. Es war ihm unverständlich, warum die Syracuser die Schlüssel der Macht über ihr eigenes Schicksal in die Hände dieser menschlichen Karikaturen gelegt hatten. Die
Mashama-Bewegung würde nicht ruhen, bis sie alle Scaythen vom Planeten Hyponeros von Syracusa und seinen Satelliten verjagt hatte.
Nur wenig war über den Seneschall Harkot bekannt. Er war ein diskretes, ja verschlossenes und von Geheimnissen umgebenes Wesen. Er zeigte sich nur anlässlich bedeutender Zeremonien in der Öffentlichkeit, regungslos, undurchdringlich, rätselhaft. Es wurde geflüstert, dass das Entwicklungsprogramm der Auslöscher-Scaythen, die nach Belieben Gehirne deprogrammierten, um sie neu zu programmieren – seine ganze Zeit in Anspruch nehme. Auch hieß es, er selbst habe den Seigneur Ranti Ang exekutiert, Ranti Ang, den Held der legendären Schlacht von Houhatte, in der der Orden der Absolution, der Stützpfeiler der Konföderation von Naflin, geschlagen wurde … Weiterhin hieß es, er habe mit dem Muffi Barrofill XXIV. ein Komplott geschmiedet, um den Konnetabel Pamynx seines Amtes zu entheben …
Bei der Anzahl der kursierenden Gerüchte war es schwer, die Wahrheit von der Unwahrheit zu trennen. Es gab Höflinge, die hinter vorgehaltener Hand verkündeten, Harkot sei nichts weiter als eine Marionette der Herren von Hyponeros. Worauf andere entgegneten, dass bisher noch niemand die Existenz einer Welt namens Hyponeros bewiesen habe … Doch Tatsache war, Harkot hatte die höchste Stellung bei Hofe inne, eine Schlüsselstellung, die nach Ansicht des Adels eigentlich einem der ihren gebührt hätte. Es war ein Affront, dass die Staatsgeschäfte des Imperiums einem Paritolen, einem Fremden, schlimmer noch, einem Nicht-Menschen anvertraut worden waren.
Die Syracuserverdankten dem Seneschall Harkot vor allem die ständig besetzten Wachtürme
Weitere Kostenlose Bücher