Terra Mater
Würdenträgern der Kirche des Kreuzes in ihren traditionellen purpurroten Colancors und ihren mauvefarbenen Chorhemden vorbehalten. Die Kardinäle verständigten
sich unablässig mit einer nur ihnen bekannten Zeichensprache.
Die mittleren Ränge wurden von den vornehmsten Familien Syracusas eingenommen: Vangouw, Phlel, Blaurenaar, Ariostea, Phart, Kervaleur, VanBoer … Familien, die vor Jahrhunderten das Planetarische Komitee gestürzt und die Vorherrschaft des Adels wiederhergestellt hatten … Standesgenossen Marti de Kervaleurs … Höflinge voller Anmut und Langeweile, die die Hälfte ihres Lebens damit verbrachten, die Regeln der Etikette zu lernen und die andere Hälfte, sie ja nicht zu verletzen. Eitle, untätige und selbstgefällige Männer und Frauen, pedantisch und kleinlich, die ihre Vermögen verloren hatten und seit der Inthronisation Ranti Angs bereits keine Rolle mehr spielten und von der Geschichte vergessen worden waren. Eine im Zerfall begriffene Welt …
Im Halbschatten der mit Familienwappen geschmückten Logen saßen steife Gestalten mit weiß gepuderten Gesichtern, denen weder die leuchtenden Wasserkronen noch die zwei oder drei erlaubten Haarsträhnen irgendeinen fröhlichen Aspekt verliehen.
Marti de Kervaleur hasste es, sich unter seinesgleichen aufhalten zu müssen, wozu auch seine Eltern zählten. Denn bei ihnen hatte die Gefühlskontrolle, die berühmte autopsychische Selbstverteidigung – APS – zu einem derart unbeteiligten Gebaren geführt, dass sie zu einer personifizierten Verneinung jeglichen Lebens geworden waren.
Die Insassen der obersten Logen jedoch waren am farbenprächtigsten gekleidet und am auffälligsten geschminkt. Auch ihren Schmuck stellten sie schamlos zur Schau. Diese Leute waren allesamt Arrivierte, Abgesandte der verschiedenen Gilden, die es durch Fleiß, Intelligenz oder Verlogenheit zu Ansehen gebracht hatten. Vielleicht hofften sie,
durch die Zurschaustellung ihres Reichtums ihre einfache Abstammung überdecken zu können, doch sie ähnelten nur Pfauen, die während der Balz ihr Gefieder spreizten.
Das prächtige Spektakel langweilte Marti. Schon seit drei Jahren zwang ihn sein Vater, der Ehrenwerte Burphi de Kervaleur, an den Feierlichkeiten des 22. Frascius’ teilzunehmen. Als Marti offiziell bei Hofe eingeführt wurde, hatte ihn die Zeremonie begeistert. Doch die sich jährlich wiederholenden Festivitäten anlässlich der Inthronisation des Kaisers Menati empfand er inzwischen nur noch als lästige Pflichtübung. So hatte dieser eitle Pomp für ihn jeglichen Reiz verloren, was für einen abenteuerlich gesinnten jungen Mann von zwanzig Jahren kaum verwunderlich war.
Marti warf einen kurzen Blick auf seine Eltern, die links von ihm saßen. Die beiden unterhielten sich leise. Die schlanken Finger seiner Mutter in weißen Handschuhen umklammerten die Brüstung. Worüber unterhielten sie sich? Wahrscheinlich über nebensächliche Fragen, die Etikette betreffend. Über die Position ihrer Loge, gemessen an der anderer aristokratischer Familien … Über die Taktlosigkeiten der Kaiserin Dame Sibrit, die berüchtigt für ihre Unberechenbarkeit und Grausamkeit war … Oder über die Effizienz der Gedankenhüter … Über die neuen Programme des Seneschalls Harkot? Aber wahrscheinlich frönten sie nur dem üblichen Hofklatsch …
Hätten sie erfahren, welchen geheimen und verbotenen Aktivitäten ihr einziger Sohn nachging, wäre ihr mentaler Schutzschild – auf den sie so stolz waren –, die APS, sofort in tausend Stücke zersprungen.
Plötzlich überkam Marti de Kervaleur ein ungutes Gefühl. Und weil er das dringende Bedürfnis hatte, diese aufkeimende Besorgnis zu ersticken, warf er einen Blick auf
seinen Gedankenschützer. Der saß in seinem weißen Kapuzenmantel bei den vier Gedankenschützern seiner Eltern auf der Hinterbank der Loge. Marti trennte sich von seinem Gedankenschützer nie – unter keinen Umständen! Denn allein der Scaythe erlaubte es ihm, den Geheimgarten seiner Gedanken zu kultivieren. Dort wuchsen üppig verbotene giftige Pflanzen, die den berauschenden Duft der Rebellion verströmten, obwohl er von den besten und teuersten Lehrern bei Hof unterrichtet worden war. Denn seine Eltern hatten keine Ausgaben gescheut, den Sohn nach ihrem Bild formen zu lassen, damit aus ihm ein perfekter Hofling werde, eins dieser Wesen, dessen Leben zwischen Intrigen und offiziellen Veranstaltungen dahintröpfelte.
Doch Marti de Kervaleur
Weitere Kostenlose Bücher