Terra Mater
der Gedanken. In Venicia,
der syracusischen Hauptstadt und zugleich der Metropole des Universums, gab es nicht weniger als zweiundvierzig dieser hässlichen Bauten. Zweiundvierzig Schandmale, in einer Stadt, deren Architektur auf Harmonie und verfeinertem Geschmack aufgebaut war.
Jetzt betrat auch der Muffi Barrofill XXIV. die in phantastisches Licht getauchte Estrade. Er watschelte mühsam zu dem für ihn vorgesehenen Platz, Harkot gegenüber, und schien nur mit Mühe das Gewicht seiner Papstkrone tragen zu können. Seine gekrümmte Gestalt war in ein weißes Messgewand gehüllt. Tiefe Falten betonten den verschlagenen Ausdruck seines verwüsteten Gesichtes. Es hieß, er habe sich einundzwanzig Schönheitsoperationen und fünfzehn Transplantationen aus embryonalem Gewebe unterzogen. Das Kirchenoberhaupt regierte im höchsten Turm des bischöflichen Palastes zu Venicia, von zwanzig Gedankenhütern und zweihundert Leibwächtern geschützt. Doch wenn er sich zu den wöchentlich stattfindenden Audienzen des Kaisers und des Seneschalls begab, wurde er von einer kleinen Armee begleitet. Die Vorsicht dieses hinterhältigen Greises nahm paranoide Züge an. In erster Linie verspürte er Angst vor seinen eigenen Kardinälen, womit er nicht ganz Unrecht hatte: das Amt des Pontifex maximus’ der Kirche des Kreuzes gehörte zu den begehrtesten im Ang-Imperium. Der Unfehlbare Hirte herrschte über eine Krake mit Tausenden von Fangarmen: Kardinäle, Bischöfe, Vikare, Priester, Theologen, Inquisitoren, Einsiedler, Missionare, Novizen und Schüler der heiligen Propagandaschulen … Da der Kreuzianismus die einzige Religion des Imperiums war, gab es Hunderte von Milliarden Anhänger. Die Kehrseite dieser Machtfülle waren die erbitterten Kämpfe um seine Nachfolge. Also herrschte der greise Muffi aus den Höhen
seines befestigten Bergfrieds mit Hilfe der Holovision, der Messacodes und eines über das gesamte Universum verzweigten Netzes seiner Geheimagenten. Durch seine Strafaktionen gegen konspirative Kardinäle und Häretiker hatten sich, unter seinem langen Pontifi kat, die Feuerkreuze auf derart spektakuläre Weise vervielfacht, dass die gefolterten Körper der Ketzer zum Alltagsbild in allen Städten des Universums gehörten.
Marti de Kervaleur war nach den strikten Regeln des Kreuzianismus’ erzogen worden, und wenn er jetzt noch regelmäßig zweimal die Woche in die Kirche ging, tat er es, um keinen Verdacht zu erregen. Insgeheim jedoch waren seine Freunde und er Anhänger eines archaischen Kults, dessen Praktiken ihn ebenso begeisterten wie sie ihn erschreckten. Die Mitglieder der Geheimorganisation Mashama predigten die Rückkehr zum Animalischen, sie priesen die kriegerischen Tugenden, welche die stolzen Syracuser früher Zeiten ausgezeichnet hatten. Und diese Zeremonien begeisterten die jungen Männer ungleich mehr als die schwülstigen Tiraden der finsteren Priester der Kirche des Kreuzes.
Endlich betrat das Kaiserpaar die Bühne. Menati, der Imperator, trug eine Schleppe über einem blauen, mit Diamanten verzierten Colancor, auf dem Kopf eine dazu passende Toque, die von einem weißen Ring umgeben war, worauf eine dreizackige Krone saß – das Symbol des Ang-Imperiums. Sein Gesicht war weiß geschminkt, die Lippen blau, mit jener Perlmuttfarbe, die man gemeinhin »carezzando des nächtlichen Kusses« nannte. Sein kantiges, von zwei gelockten schwarzen Strähnen umrahmtes Gesicht neigte bereits zur Fülle. Seine dunklen Augen funkelten unter den schwarzen gezupften Brauen. Seine Gemahlin, Dame Sibrit,
war in einen silberfarbenen Colancor gekleidet und trug dazu ein Cape mit ständig wechselnden Farben. Ihre leuchtende Wasserkrone ließ nur eine graue Haarsträhne frei, die sich anmutig über ihre rechte Wange bis zum Kinn schmiegte.
Noch immer war Marti de Kervaleur von der Schönheit der Kaiserin wie verzaubert. Auch wenn sich ihre Gesichtszüge im Laufe der Jahre verhärtet hatten und auf eine gewisse Verbitterung schließen ließen. Er begehrte Dame Sibrit. Sie nährte die Fantasmen dieses einsamen jungen Mannes, und er hätte sein Leben gegeben, sich mit Leib und Seele in ihren klaren blauen Augen verlieren zu dürfen.
Es hieß, sie sei eine launische, grausame, halb verrückte Frau. Die Hofdamen behaupteten, sie empfange ihren Gemahl nur in ihrem Bett, wenn er bereit sei, dafür diesen oder jenen Höfling zu opfern. Gerüchte? Lügenmärchen? Jedenfalls waren Söhne und Töchter adeliger Familien öfter
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