Terra Prima
diese ebenmäßigen Züge! Erkennst du sie wieder? Nein? Was nur macht dieses Gesicht so schön? Ich habe oft darüber nachgedacht. Warum wirft nicht einmal diese Härte um den Mund herum einen Schatten auf ihre Schönheit – kannst du mir das erklären?
Ich erwähnte es schon: SIE wissen, daß ich mich in jedes IHRER Systeme einloggen kann. In jedes Bordhirn, in jeden INGA, in jede dahergelaufene Kampfmaschine. Aber es ist IHNEN gleichgültig. Wie sollte ich IHNEN mit all den Informationen schon schaden? Manipulieren kann ich ihre Kunsthirne nicht, abhauen schon gar nicht. Und daß irgendwann einer wie du kommen würde, wußten SIE zwar, aber es bedeutete IHNEN dennoch nicht mehr als eine statistische Wahrscheinlichkeit. Vor allem aber gab es keinen Grund für SIE anzunehmen, du würdest ausgerechnet zu mir in meinen Berg finden, wenn du eines fernen Tages kommen würdest.
Übrigens – IHRE Wahrscheinlichkeitsrechnungen sind verblüffend perfekt. SIE hatten den Zeitraum, in dem einer wie du zwangsläufig hier auftauchen mußte, in den Zeitkorridor zwischen Dezember 2552 und August 2560 datiert. Was sagst du jetzt?
Die Frau spürt ihre Schmerzen nicht; auch nicht, daß man sie auf die Scannerplatte legt. Sieh nur, wie entspannt ihre Züge wirken. Sie ist tief betäubt. Sie weiß nicht, daß ihr Leben endet, sie weiß nicht, daß ihr Leben beginnt. Die Röhre, in die der INGA 13 sie jetzt schiebt, ist ein Molekularscanner. Unglaubliches Gerät! Aber lassen wir das … Die Operation selbst wird dreißig bis vierzig Stunden dauern, die anschließende Wiederherstellung ihrer individuellen Morphologie fast ein halbes Terrajahr.
Der Molekularscanner benötigt vier Stunden für einen Durchgang. Ich raffe wieder. So. Jetzt schwebt ihre Controgravtrage aus dem Mol-Scanner in den zentralen Kuppelraum des Operationstraktes. Sie nennen ihn ›Sechster Tag‹, falls dir das was sagt. Der INGA 13 schiebt sie in ein Controgravfeld im Zentrum des Kuppelraums, wie du siehst. Wie sie da schwebt! Wie ausgeliefert sie ihren Vernichtern und Schöpfern ist! Bei allen Göttern der Milchstraße – viel zu viele Bilder dieser Art habe ich mir einverleibt! Dieses hier ist eines der grausamsten. Ich hasse es. Aber ich will, daß du es dir genau ansiehst …
*
Gelähmt vor Entsetzen starrten sie in das Sichtfeld unter der Frontkuppel. Nur eine leuchtende Wolke war von der WYOMING übriggeblieben, eine rötlichgelbe Wolke aus glühendem Staub und rasenden Molekülen, die sich immer langsamer ausdehnte, an den Rändern zerfranste und an manchen Stellen bereits aufriß, so daß man, wie durch Löcher eines brüchigen Schleiers hindurch, nach und nach wieder das All mit seinen Sternen hinter ihr erkennen konnte.
»Mörderin …« flüsterte eine tränenerstickte Stimme neben Merican Bergen. Venus' Stimme. »Du gemeine Mörderin …«
Vor seinem inneren Auge tauchten Gesichter und Gestalten auf: der schwarze Joseph Nigeryan, Pipin Tartagnant, DuBonheurs Eidmann Trevor Gorges, das dicke Mädchen aus Tiborcohen und sein siebzehnjähriger Onkel Rotman Bergen … alle erschienen sie, einer nach dem anderen, wie Schauspieler nach dem Drama auf einer Bühne zu erscheinen pflegten. Sie sahen ihn an und traten zurück in die Dunkelheit.
General Ferròn schwang ihren Sessel um hundertachtzig Grad herum. Aus eisigen Augen und mit harter Miene fixierte sie Bergen. »Niemand verläßt das Sol-System, dem Terra Prima nicht befiehlt, das Sol-System zu verlassen. Und niemand landet auf dem verbotenen Planeten, dem Terra Prima nicht befiehlt, auf dem verbotenen Planeten zu landen. Verstehen wir uns, Bergen?«
Merican Bergen brachte kein Wort heraus. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß Venus ihr Gesicht in den Händen verbarg.
»Mörderschlampe …!« Plutejo schob sich an ihm vorbei. »Bist du etwa Terra Prima, Mörderschlampe …?«
Bergen griff nach seinem rechten Arm und hielt ihn fest.
»Sie halten sich nicht an unsere Vereinbarung.« Cludwichs Stimme zitterte.
»Wissen Sie nicht, daß über dreihundert Menschen an Bord der WYOMING waren?« Yaku schrie. »Sie haben eben über dreihundert Menschenleben ausgelöscht …!« Er war außer sich.
»Menschenleben …« Anna-Luna Ferròn lachte auf. Es klang bitter und verächtlich zugleich. »Dreihundert Menschenleben … was wißt ihr schon …«
Sie stand auf und stieg die drei Stufen von ihrem Kommandostand zu ihnen herunter. Abwechselnd musterte sie Merican und den vor Wut
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