Terra Prima
Bruder«, stöhnte Urban.
*
Die Minuten krochen dahin, die Stunden dehnten sich, der Flug wollte nicht enden. Essen, Warten, das VQ-Feld beobachten, die neusten Meldungen zu Plutejos Gesundheitszustand registrieren, und hin und wieder ein mißtrauischer Blick zu den Kampfmaschinen vor dem Messeschott. Der Mann von Doxa IV und der ehemalige Kommandant der TROJA sprachen kaum ein Wort miteinander. Die Ortungsreflexe im Sichtfeld zählten sie längst nicht mehr. Irgendwann übermannte sie die Erschöpfung.
Yakubar Tellim breitete seine rote Lederjacke auf dem Tisch der Offiziersmesse und auf ihr sich selbst aus. Sein Rabe drehte eine Runde durch die Messe und landete auf seiner Brust. Dort blieb er sitzen und bewachte den Schlaf seines weißhaarigen Herrn.
Sibyrian Cludwich schlief in seinem Sessel ein; jedenfalls hatte er die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig und ruhig.
Bergens blauer Roboter trank natürlich nichts und aß auch nichts. Breitbeinig und mit zurückgeklapptem Helm verharrte der Kunstmensch aus kristallinem Titanglas an einem Punkt in der Messe, der vom Schott und den beiden Kampfmaschinen davor am weitesten entfernt war. Seit drei Stunden bereits. Es würde etwas geschehen, er wußte es; und es würde bald geschehen. In ihm – in seinem Quantenkern – geschah es schon.
Seit mehr als drei Stunden hielten sie sich in der Messe der LAURIN auf, Tellim, Cludwich und er – nicht zu vergessen der Rabe. Merican und Venus Tigern hatten Plutejo in die Laborabteilung der LAURIN begleitet. Dort gab es ein kleines Kliniksegment mit einem Operationsraum. Dr. Rico Silverstone, Erster Bordarzt des GGS-Kommunikators, operierte den Neunzehnjährigen von der Strafkolonie Genna – Oberschenkelfraktur. Alle fünfzehn oder zwanzig Minuten erschien Mericans Gesicht im Viquafeld über der Schnittstelle und berichtete in Stichworten. Anderthalb Liter Blutverlust, Kreislaufzusammenbruch, erfolgreiche Reposition und Verklebung des Oberschenkelknochens, Kreislauf wieder stabil und so weiter und so fort.
Um Plutejo mußte man sich keine Sorgen machen, und daß sie ihn operierten, wertete Heinrich einerseits als Zeichen ihrer guten Absichten. Andererseits jedoch schien ihm diese Tatsache weder zu Ferròns Mentalität noch zur erbarmungslosen Vernichtung der WYOMING und schon gar nicht zu den Zuständen auf dem Neptunmond zu passen.
Die LAURIN ließ den Asteroidenring hinter sich und flog mit 49 Prozent Lichtgeschwindigkeit ins innere Sonnensystem. Etwa zweihundert Asteroiden mit erhöhtem Energieniveau hatte Heinrich gezählt: Kommunikatorstationen und Megageschützstände. Heinrich fragte sich, woher er das so genau wußte.
Die Marsbahn war noch 120 Millionen Kilometer entfernt, die Erde noch 212 Millionen Kilometer. Nicht einmal zwei Stunden also, wenn der Omegaraumer die Geschwindigkeit beibehielt. Das würde er kaum tun. Denn Hunderttausende von Ortungsreflexen standen zwischen ihm und der Marsbahn. Omegaraumer jeder Größe.
Acht Prozent seines Quantenfokus widmete Heinrich den beiden Kampfkeglern rechts und links des Schotts. Knapp siebzehn Prozent analysierten die Datenpakete, die ihm seine Peilfelder und -strahlen im Sekundentakt lieferten. Nullkommadrei Prozent behielten das Schott im Auge – es sprang hin und wieder auf, ohne daß jemand eintrat, eine Störung vermutlich – und zweiundzwanzig Prozent konzentrierten sich auf das Sichtfeld und die beiden scheinbar schlafenden Männer, für die er sich verantwortlich fühlte. Zweiundfünfzigkommasieben Prozent seines Quantenfokus befanden sich zu zwei Dritteln auf erhöhtem Energieniveau in einer Art Bereitschaftsmodus.
Etwas geschah – jetzt. Heinrich war überrascht. Es hing mit diesem seltsamen Signal zusammen. Seine Quelle konnte eigentlich nur ein Quantenkernprozessor sein. Es war, als riefe gleiches nach gleichem. Die Quelle des Signals und die Quelle des organischen EMC-Musters, dem die Herzreizleitungsimpulse fehlten, waren identisch. Der Herzlose also? Etwas würde geschehen. Bald. Heinrich war vorbereitet.
Das restliche Drittel seiner freien Quantenfokuskapazität reparierte und aktivierte Datensätze und Primärprogramme, von denen Heinrich bisher nicht einmal gewußt hatte, daß sie zu seinem System gehörten. Aus irgendeinem Grund konnte er diesen Vorgang nicht verhindern. Vielleicht wollte er ihn auch nicht verhindern.
Langsam aber stetig konfigurierte etwas in ihm Dateien mit den vertrauten Segmenten seines künstlichen
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