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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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riesiger, in eine dritte Dimension ausgerollter Bogen Rechenpapier – bricht vor Ahmeds geistigem Auge nach außen in dem gigantischen göttlichen Schöpfungsgeschehen auf, eine konzentrische Welle nach der anderen, jede die andere weiter und weiter vom Ausgangspunkt des Nichts fortdrängend, während sich nach Gottes Willen der große Übergang vom Nichtsein zum Sein vollzieht. Dies war der Wille des Wohltätigen, des Barmherzigen, ar-Rahm ā n und ar-Rah ī m, des Lebendigen, des Geduldigen, des Großmütigen, des Vollkommenen, des Lichtes, des Führers. Er will nicht, dass wir seine Schöpfung durch einen bereitwilligen Tod schänden. Sein Wille bewirkt Leben.
    Ahmed holt die rechte Hand ans Lenkrad zurück. Die beiden Kinder im Fahrzeug vor ihm, von ihren Eltern liebevoll angezogen und gestriegelt, allabendlich gebadet und besänftigt, schauen feierlich zu ihm auf, denn sie haben das Erratische in seinem Blick, das Unnatürliche an seiner Miene durch seine schillernde Windschutzscheibe hindurch gespürt. Beruhigend lüpft er die Finger der rechten Hand vom Lenkrad und lässt sie wackeln wie die Beine eines auf dem Rücken liegenden Käfers. Endlich zur Kenntnis genommen, lächeln die Kinder, und Ahmed kann nicht anders, als zurückzulächeln. Er wirft einen Blick auf seine Uhr: neun Uhr achtzehn. Der Punkt, an dem der Schaden am größten wäre, ist vorbeigeschlüpft; die Biegung des Tunnels wird langsam in ein sich weitendes Rechteck von Tageslicht hineingezogen.
    «Wie?», fragt Levy, als habe er Ahmeds Antwort auf seine letzte Bemerkung nicht ganz verstanden. Er kommt aus seiner versackten Haltung hervor und setzt sich auf.
    Die schwarzen Kinder, auf ähnliche Weise Rettung ahnend, schneiden hinter der Heckscheibe des Volvo Gesichter, ziehen mit den Fingern ihre Augenwinkel herunter und wackeln mit herausgestreckten Zungen. Ahmed versucht, erneut zu lächeln, und wiederholt sein freundliches Fingergewackel, jedoch nur matt; er ist ausgepumpt. Das helle Maul des Tunnels weitet sich, um ihn und den Laster mitsamt seinen Geistern zu schlucken; alle zusammen tauchen sie in das stumpfe, sich jedoch klärende Licht eines weiteren Montags in Manhattan. Was immer den Verkehr im Tunnel so stockend, so zum Wahnsinnigwerden zäh gemacht hat, es hat sich endlich aufgelöst, sich verflüchtigt, und hier liegt nun eine offene, gepflasterte Fläche zwischen Apartmenthäusern von maßvoller Höhe, Reklametafeln, Reihenhäusern aus Ziegelstein und, einige Blocks entfernt, zerbrechlich anmutenden gläsernen Wolkenkratzern. Es könnte irgendein namenloser Fleck im Norden von New Jersey sein; nur die todsicher zu erkennende Silhouette dort vorn, die des Empire State Building, von neuem zum höchsten Gebäude von New York City geworden, tut etwas anderes kund. Der bronzefarbene Station Wagon saust nach rechts, südwärts. Die Kinder sind abgelenkt von all dem, was es in der Metropole zu sehen gibt, ihre Köpfchen schwenken hin und her, und sie winken Ahmed zum Abschied nicht noch einmal zu. Er fühlt sich schlecht behandelt, nach dem Opfer, das er für sie erbracht hat.
    Neben ihm sagt Mr. Levy: «Mann!», und mimt dümmlich einen High-School-Schüler. «Ich bin patschnass. Du hattest mich doch tatsächlich überzeugt.» Er merkt, dass er nicht den richtigen Ton getroffen hat, und fügt leiser hinzu: «Gut gemacht, mein Freund. Willkommen im Big Apple.»
     
    Ahmed ist langsamer gefahren und hat dann gehalten, nicht ganz in der Mitte der großen, weiten Fläche. Autos und Lastwagen, die hinter dem haltenden weißen Laster in die Freiheit drängen, scheren aus und hupen; Seitenfenster senken sich und spucken beleidigende Gebärden aus. Ahmed erkennt den beschleunigenden mitternachtsblauen Mercedes wieder und lächelt bei dem Gedanken, dass dieser Flitzer trotz all seiner Überholversuche die ganze Zeit hinter ihm geblieben ist, samt seinem dünkelhaften, nichtswürdigen Investment-Dieb von Fahrer.
    Jack Levy begreift, dass nun er der Verantwortliche ist. «So», sagt er. «Jetzt stellt sich die Frage: Was machen wir nun? Schaffen wir den Laster hier doch zurück nach Jersey. Sie freuen sich bestimmt, ihn wiederzusehen. Und dich auch, muss ich leider sagen. Aber – und ich werde der Allererste sein, der darauf hinweist – du hast kein Verbrechen begangen, außer eine Fuhre gefährliches Zeug mit einem Führerschein Klasse C CDL aus dem Bundesstaat hinauszukutschieren. Wahrscheinlich nehmen sie dir den Lappen ab, aber das ist

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