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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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zuwider, mir die Hand zu geben, das habe ich gefühlt. Er hat nie erkennen lassen, dass er mich bekehren wollte. Wenn Ahmed den entgegengesetzten Weg eingeschlagen hätte, wenn er sich von dem ganzen Gottesrummel ganz abgekehrt hätte, wie ich’s getan habe, dann hätte ich auch das geschehen lassen. Religion ist für mich nur eine Sache der Einstellung. Sie bedeutet, zum Leben ja zu sagen. Man muss darauf vertrauen, dass es einen Sinn gibt, sonst geht man unter. Wenn ich male, muss ich einfach daran glauben, dass Schönheit entstehen wird. Wenn man abstrakt malt, hat man keine hübsche Landschaft oder eine Schale mit Orangen, an die man sich anlehnen kann; alles muss rein aus einem selbst kommen. Man muss sozusagen die Augen zumachen und springen. Man muss ja sagen.»
    Nachdem sie zu ihrer Zufriedenheit Stellung bezogen hat, beugt sie sich weit zu einem Arbeitstisch hinüber und drückt ihre Zigarette in einem schmutzigen Schraubdeckel aus. Von der Anstrengung spannt sich ihr Hemd über den Brüsten, und ihre Augen treten hervor. Diese glasig-hellgrünen Augen richtet sie nun auf ihren Gast und fügt noch hinzu: «Wenn Ahmed so sehr an Gott glaubt, soll Gott sich auch um ihn kümmern.» Dann schwächt sie den gleichgültigen, frivolen Eindruck, den ihre Bemerkung hinterlassen haben könnte, ab und schlägt einen beschwörenden Ton an: «Das Leben eines Menschen ist nichts, was man unter Kontrolle bringen muss. Unsere Atmung, unsere Verdauung, unseren Herzschlag haben wir nicht unter Kontrolle. Das Leben will gelebt werden. Man muss es geschehen lassen.»
    Die Situation ist Jack unheimlich geworden. Diese Frau hat seine Pein, seine Trostlosigkeit von vier Uhr am Morgen gespürt und leistet ihm nun Beistand, ihre Stimme wirkt wie eine Massage. Bis zu einem bestimmten Punkt mag er es, wenn sich Frauen geistig vor ihm entblößen. Aber er ist schon zu lange hier. Beth wird schon unruhig sein; er hat zu ihr gesagt, er müsse kurz in der Schule vorbeischauen und ein paar Unterlagen holen. Das war nicht gelogen; jetzt hat er die Unterlagen übergeben. «Danke für den Koffeinfreien», sagt er. «Ich könnte auf der Stelle einschlafen.»
    «Ich auch. Und ich muss um sechs am Arbeitsplatz sein.»
    «Um sechs?»
    «Da fängt im Saint Francis Hospital die Frühschicht an. Ich bin Schwesternhelferin. Krankenschwester wollte ich eigentlich nie recht werden, die ganze Chemie war mir zu viel, und dann das Betriebswirtschaftliche; sie werden genauso wichtigtuerisch wie die Ärzte. Schwesternhelferinnen tun heutzutage das, was früher Krankenschwestern getan haben. Ich mag den direkten Kontakt – mich mit den Leuten auf der Ebene ihrer wirklichen Bedürfnisse zu befassen. Auf der Bettpfannenebene. Sie haben doch wohl nicht angenommen, dass ich davon lebe?» Mit ihren tatkräftigen, sachlich manikürten Händen deutet sie auf ihre grellen Wände.
    «Nein», gibt er zu.
    Sie schwärmt weiter. «Das gönne ich mir einfach, es ist mein Hobby – meine Seligkeit, wie vor ein paar Jahren dieser Mensch im Fernsehen gesagt hat. Klar, manche finden Käufer, aber das ist mir nicht so wichtig. Das Malen ist meine Leidenschaft. Sie haben sicher auch eine Leidenschaft, Jack, oder?»
    Er weicht zurück; allmählich kommt sie ihm besessen vor, eine Priesterin auf ihrem Dreifuß, mit Schlangen im Haar. «Eigentlich nicht.» Er steigt morgens aus dem Bett, als müsste er eine Bleidecke von sich schieben, und stürmt mit gesenktem Kopf in seinen Tageslauf, der darin besteht, Kindern hinterherzuwinken, die im Begriff sind, in den Morast der Welt zu rutschen. Eine letzte Bemerkung kann er sich doch nicht verkneifen. «Da Sie selbst einen Pflegeberuf ausüben, haben Sie da Ahmed nie nahe gelegt, Arzt zu werden? Er strahlt eine gewisse Ruhe aus, er ist ganz da. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen, wenn ich krank wäre.»
    Ihre Augen werden zu Schlitzen, schlau und – wie seine Mutter zu sagen pflegte, meist über andere Frauen – gewöhnlich. «Das ist eine langwierige, kostspielige Angelegenheit, Jack, so eine Medizinerausbildung. Und die Docs, die ich kenne, stöhnen immer nur über den Papierkram und darüber, dass ihnen die Versicherungen im Nacken sitzen. Früher war das einmal ein Beruf, der einem viel Respekt und solides Geld einbrachte. Aber die Medizin ist nicht mehr das lukrative Gebiet, das sie mal war. Auf die eine oder andere Weise wird sie irgendwann sozialisiert werden, und dann bekommen Ärzte ein Gehalt wie Lehrer.»
    Jack lacht

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