Terrorist
sitzt so aufrecht auf dem Hocker, dass Jack schier vor sich sieht, wie sich die harte Holzscheibe des Sitzes in ihren angespannten Po drückt. «Ach, das ist also Ihr Bild von uns alleinerziehenden Müttern, Mr. Levy? So rundum unterbewertet und mit Füßen getreten?»
Alleinerziehende Mütter, denkt er. Was für ein putziger, sentimentaler, pseudokämpferischer Ausdruck. Wie öde doch jedes Gespräch heutzutage dadurch wird, dass jede erdenkliche Gruppe, weiße Männer ausgenommen, mit geballten Fäusten in Abwehrhaltung geht. Er paddelt zurück. «Nein, ganz und gar nicht. Ich finde alleinerziehende Mütter toll, Terry – sie sind das Einzige, was unsere morsche Gesellschaft zusammenhält.»
«Ahmed hat keinerlei Illusionen, was seinen Vater angeht», sagt sie, schon wieder ein wenig lockerer; sie ist eine empfängliche Frau. «Ich habe ihm sehr deutlich dargestellt, was für ein Versager sein Vater war. Ein ahnungsloser, verklemmter Opportunist, der uns seit fünfzehn Jahren keine Nachricht mehr hat zukommen lassen, geschweige denn einen verdammten Scheck.»
Jack gefällt der «verdammte Scheck» – sie lockert sich zusehends. Statt eines Malerkittels trägt sie über den Jeans ein blaues Arbeiterhemd, dessen Taschen von ihren Brüsten nach vorn geschoben werden. «Als Paar waren wir eine Katastrophe», vertraut sie Jack an, noch immer so leise, dass Ahmed es nicht hören kann. Wie um von dem zusätzlichen Raum, den dieses Geständnis ihr verschafft, Besitz zu nehmen, drückt sie, auf dem hohen, ungestrichenen Holzhocker balancierend, katzenhaft den Rücken durch und schiebt ihre Brüste noch ein paar Zentimeter weiter vor. «Es war verrückt von uns, zu glauben, dass wir heiraten sollten. Beide dachten wir, der andere wüsste die Antwort auf alle Fragen – dabei sprachen wir buchstäblich nicht mal die gleiche Sprache. Obwohl er gar nicht schlecht englisch konnte, muss ich fairerweise sagen. Er hatte es in Alexandria gelernt. Noch so etwas, worauf ich abgefahren bin – dieser leichte Akzent, fast ein Lispeln, irgendwie britisch. Er klang so kultiviert! Und immer war er so adrett, hielt seine Schuhe blitzblank, sein Haar geschniegelt. Dichtes, pechschwarzes Haar, wie es kein Amerikaner hat, ein bisschen gelockt hinter den Ohren und im Nacken, und dann natürlich seine Haut – glatt und ebenmäßig, dunkler als die von Ahmed, aber vollkommen matt, wie ein angefeuchtetes Tuch, olivbeige mit einer Prise Lampenruß darin, aber es färbte nicht ab, wenn man darüberstrich –»
O Gott, denkt Levy, sie lässt sich hinreißen, gleich schildert sie mir auch noch seinen violetten Dritte-Welt-Schwanz.
Sie spürt sein Unbehagen, nimmt sich zusammen und sagt nur noch: «Jedenfalls überschätzt Ahmed seinen Vater nicht, keine Sorge. Er verabscheut ihn, wie es sich gehört.»
«Sagen Sie mir eins, Terry: Glauben Sie, Ahmed würde sich bei seinem IQ nach dem High-School-Abschluss mit einem Lastwagenfahrerjob zufrieden geben, wenn sein Vater noch da wäre?»
«Das weiß ich nicht. Omar wäre nicht mal dazu imstande gewesen. Er hätte zu träumen angefangen und wäre von der Straße abgekommen. Als Autofahrer war er unmöglich; selbst damals, als ich die Rolle der unterwürfigen jungen Ehefrau spielen sollte, habe immer ich das Steuer übernommen, wenn ich mit im Auto saß. ‹Es geht auch um mein Leben›, habe ich zu ihm gesagt. Und ihn gefragt: ‹Wie willst du denn Amerikaner werden, wenn du nicht Auto fahren kannst?›»
Wie kommt es nur, dass Omar überhaupt zum Thema geworden ist? Ist Jack Levy denn der einzige Mensch auf der Welt, der sich um die Zukunft des Jungen sorgt?
«Sie müssen mir helfen», erklärt er Ahmeds Mutter mit großem Ernst, «Ahmed in eine Richtung zu lenken, die seinem Potenzial eher entspricht.»
«Ach, Jack», sagt sie, gestikuliert fahrig mit ihrer Zigarette und schwankt ein wenig auf dem Hocker – eine weissagende Sibylle auf ihrem Dreifuß. «Glauben Sie nicht, dass Menschen ihr Potenzial finden, wie Wasser seinen Pegelstand? Ich habe noch nie daran geglaubt, dass Menschen Tonklumpen sind, die geformt werden müssen. Die Form ist in ihrem Inneren angelegt, von Anfang an. Ich habe Ahmed als Gleichen behandelt, seit er elf war. Das war die Zeit, als er so religiös wurde. Ich habe ihn darin bestärkt. In den Wintermonaten habe ich ihn nach dem Unterricht von der Moschee abgeholt. Ich muss sagen, dieser Imam, den er da hat, ist so gut wie nie auf ein Wort herausgekommen, es war ihm
Weitere Kostenlose Bücher