Terrorist
Washington, aber da ist es noch schwüler, und darum ist sie früher oft zu uns heraufgekommen, und wir sind für eine Woche irgendwohin in die Berge gefahren, meistens in die Nähe der Delaware-Schlucht. Aber jetzt hat sie teuflisch viel zu tun, denn es gibt ja einen Ausnahmezustand nach dem anderen, da wird in diesem Sommer wohl nicht viel …» Halt endlich den Mund, Levy. Reit es nicht zu Tode. War vielleicht ganz gut, dass ihm das «Wir» entschlüpft ist, damit die Frau hier nicht vergisst, dass er verheiratet ist. Er stellt sie sich tatsächlich zusammen vor, die beiden hellhäutigen Frauen mit der Tendenz zum Rundlichwerden, obwohl Beth auf diesem Weg längst abstoßend weiter vorangekommen ist. «Und Sie? Sie und Ahmed, meine ich.»
Sie ist ziemlich bieder gekleidet – eierschalfarbenes Leinenkostüm über einer weißen Spitzenbluse –, jedoch mit farbigen Tupfern, die eine freie Seele signalisieren, eine Künstlerin, die auch Mutter ist. Klunker von Türkisringen beschweren ihre Hände mit den kurzen Fingernägeln, diese festen, tatkräftigen Hände, und an ihren Armen, an denen in der Sonne ein weißlicher Flaum aufschimmert, klirren allerlei Goldreifen und Korallkettchen. Am verblüffendsten aber ist das große Seidentuch mit einem Muster aus eckigen, abstrakten Formen und klaffenden Kreisen, das, unter dem Kinn geknotet, ihr Haar bis auf ein paar feine Strähnchen bedeckt, die dort hervorlugen, wo das Tuch an der Wölbung ihrer irisch-weißen Stirn abschließt. Terry verfolgt Jacks Blicke, sieht, dass sie bei ihrem flott-biederen Kopftuch hängen bleiben, und lacht auf. «Ahmed wollte, dass ich das aufsetze. Er hat gesagt, er wünscht sich zum Schulabschluss nur eins – dass seine Mutter nicht wie eine Hure aussieht.»
«Du meine Güte! Aber seltsamerweise steht es Ihnen gut. Und die Orchidee war auch seine Idee?»
«Eigentlich nicht. Die anderen Jungen schenken sie ihren Müttern, da wäre es ihm peinlich gewesen, aus der Reihe zu tanzen. Er hat eben auch etwas Konformistisches.»
Ihr Gesicht mit den vortretenden grünen Augen, so hell wie Glasscherben am Strand, scheint ihn unter dem Kopftuch um eine Ecke herum anzusehen; die Verhüllung stellt eine Provokation dar, da sie eine letztlich zu erlangende, atemberaubende Nacktheit verheißt. Das Kopftuch zeugt von Unterwerfung. Im Gedränge nähert er sieh ihr, als wolle er sie beschützen. Teresa sagt: «Ich habe noch ein paar andere Mütter mit Kopftüchern entdeckt, Black-MuslimFrauen – dramatische Gestalten, so ganz in Weiß –, und auch unter den Schulabgängern ein paar Türkentöchter – zu meiner Mädchenzeit nannten wir die dunkelhäutigen Männer in den Fabriken ‹Türken›, aber das waren sie natürlich nicht alle. Die ganze Zeit dachte ich: Ich bin die mit den rötesten Haaren unter dem Fummel. Die Nonnen wären entzückt. Die haben immer gesagt, ich würde mit meinen Reizen prunken. Damals habe ich mich immer gefragt, was eigentlich ‹Reize› sind und wie man damit prunken kann. Sie waren einfach da, schien mir.»
Genau wie Jack Levy neigt sie in dieser aufgekratzten Menge dazu, unkontrolliert zu plappern. Ruhig und aufrichtig sagt er: «Es war lieb von Ihnen, auf Ahmeds Wunsch einzugehen.»
Das schalkhafte Funkeln in ihrem Mienenspiel erlischt. «Eigentlich hat er in all den Jahren so wenig von mir gefordert, und nun geht er fort. Er kam mir immer so allein vor. Diese ganze Allah-Kiste hat er sich allein angeeignet, ohne jede Hilfe von mir. Im Gegenteil sogar – ich hab’s ihm übel genommen, dass ihm ein Vater so wichtig war, der keinen Furz auf ihn gab. Auf uns. Aber vermutlich braucht ein Junge eben einen Vater, und wenn er keinen hat, erfindet er sich einen. Na, was sagen Sie zu meinem Freud-Verschnitt?»
Weiß sie denn, was sie ihm antut, indem sie ihn dazu bringt, sie zu begehren? Beth käme nie auf die Idee, Freud ins Spiel zu bringen. Freud, der ein ganzes Jahrhundert dazu ermutigt hat, getrost weiterzuvögeln. «Das war ein erfreulicher Anblick, Ahmed in seinem Talar dort oben auf dem Podium. Es tut mir leid, dass ich Ihren Sohn erst so spät ein wenig kennen gelernt habe. Er bedeutet mir etwas, obwohl ich den Verdacht habe, dass das einseitig ist.»
«Da irren Sie sich, Jack – er weiß es sehr wohl zu schätzen, dass Sie seinen Blickwinkel erweitern wollen. Vielleicht gelingt es ihm später allein. Vorläufig brummt er mit Vollgas auf diesen Lkw-Führerschein zu. Die schriftliche Prüfung hat er bestanden, und
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