Tesarenland (German Edition)
da, Kayla wird sterben, das weiß ich einfach, wenn ich Luca auch noch verlieren würde, wäre da niemand mehr.
Aber ich weiß, es liegt nicht nur an der Angst vor der Einsamkeit. Da sind andere Gefühle im Spiel. Gefühle der Art, die mein Herz schneller schlagen lassen, meine Hände feucht machen, wenn ich nur an ihn denke, wenn er mich ansieht oder flüchtig berührt. Diese Gefühle. Ich mag sie mir nicht eingestehen, aber ich weiß, sie sind da. Dabei sollte ich ihn hassen, weil er sich weigert, Hilfe für Kayla anzufordern, aber ich kann nicht. Denn wenn ich ehrlich zu mir selber bin, verstehe ich seine Angst.
Er hat seine ganze Familie an eine Krankheit verloren. Und wenn nur die geringste Chance besteht, dass Roland richtig liegt, dann wäre es egoistisch von mir, andere Menschen zu gefährden. Aber es ist so schwer, loszulassen. Denn loszulassen bedeutet, Kaylas Todesurteil zu fällen. Wenn ich mir ihren Zustand so ansehe, mehr tot als lebendig, nicht ansprechbar, geschüttelt von Krämpfen, unfähig auch nur zu schlucken, dann weiß ich, ohne Hilfe wird sie nicht mehr gesund. Aber vielleicht hätte sie mit Hilfe eine Chance. Und weil ich diese Hoffnung noch immer in mir trage, bin ich eigentlich nicht bereit, aufzugeben.
Ich sollte Luca gehen lassen, und ich sollte ihn zwingen, mir den Umgang mit dem Funkgerät zu erklären. Und dann sollte ich Hilfe für meine Schwester holen. Das sollte ich, aber ich kann es nicht. Ich rede mir ein, weil ich Luca nicht den Jägern aussetzen will. Und weil ich die Rebellen nicht direkt in die wartenden Arme der Aliens laufen la ssen will, aber da ist auch ein Funke der Gewissheit, der mir sagt: Was, wenn es wirklich so ist? Wenn dieses süße kleine Mädchen eine gefährliche Krankheit in sich trägt? Bin ich bereit andere Menschen dieser Gefahr auszusetzen. Über ihr Leben zu entscheiden?
Aber wenn ich mich gegen die Rebellen entscheide, dann muss ich zusehen, wie meine Schwester stirbt, wie es ihr langsam immer schlechter geht. Wie ihr Körper immer mehr versagt. So müssen sich auch all die Menschen damals gefühlt haben, die ihre Lieben an die Krankheit verloren haben, die die Aliens mitgebracht haben, als sie unseren Planeten eroberten. Sie haben gar nicht lange gegen uns kämpfen müssen. Dieser Virus hat die meiste Arbeit für sie erledigt. Ein Virus, der für die Tesare harmlos war, für die Menschheit aber tödlich. Ich sehe Kayla an und frage mich, ob dieser Virus zurückgekehrt ist? Ob Luca vielleicht recht hat?
Luca dreht sich von mir weg und geht auf das Funkgerät zu. »Du hättest dir deinen Ausflug übrigens sparen können. Der Generator ist voll. Du hättest nur hier drücken müssen, dann hier ziehen .« Luca zieht an einem Griff, der an der Seite des Generators hängt. Ein Stück Seil kommt surrend heraus, dann schnappt es zurück und der Generator fängt laut an, zu tuckern.
»Du hast recht«, sagt er. »Wir werden sie kontaktieren. Ich will nicht über Kaylas Leben entscheiden.« Er sieht mich an, fährt durch seine struppigen Haare und wirkt zerrissen. »Aber wir werden ihnen die Wahrheit sagen. Sollen sie selbst entscheiden, ob sie herkommen wollen.«
Ich senke den Blick auf meine Hände, dann sehe ich zu Kayla, der ein Rinnsal Blut über die Wange läuft. Sie scheint jetzt fast ununterbrochen , aus Nase und Mund zu bluten. Sogar aus ihren Augen tropft Blut heraus. Ich sollte erleichtert sein, wenn Luca sich bei ihnen meldet, werden sie bestimmt herkommen. Sie werden uns holen wollen. Aber ich bin nicht erleichtert.
Plötzlich ergreift mich Unbehagen. Mutter würde wollen, dass ich alles tue, um Kayla zu retten. Aber würde sie auch wollen, dass ich andere Menschen in Gefahr bringe? Wie hätte sie entschieden? Würde eine Mutter sich nicht immer schützend vor ihr Kind stellen? Luca schaltet das Funkgerät ein, es rauscht. Mein Blick bohrt sich in seinen Rücken. Ich müsste nur das ›Mike‹ nehmen. Nur ein Wort, und vielleicht wäre Kayla gerettet. Aber wenn es wirklich dieses Virus ist, dann gibt es keine Rettung. Nicht für Kayla. Für niemanden. Dann würde ich all diese Menschen umsonst gefährden. Es fällt mir so schwer, diese Entscheidung zu treffen. Aber ich muss sie treffen, weil sie niemand anders für mich treffen kann. Dieses Mal gibt es nur mich. Ich kann die Verantwortung keinem anderen übertragen. Ich will, dass Kayla lebt, mehr als alles andere auf der Welt. Aber wenn die Gefahr besteht, dass noch mehr Menschen
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