Tesarenland (German Edition)
sterben?
»Luca«, sage ich zögernd. »Tu es nicht. Du könntest recht haben. Und es wäre egoistisch von mir, andere Menschenleben zu riskieren. Wenn diese Krankheit wirklich so gefährlich ist, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie sich nicht ausbreitet.«
Dieses Mal habe ich Kaylas Todesurteil gefällt, nicht er. Nicht Luca. Ich wische die Tränen von meinen Wangen und mit ihnen, das schlechte Gewissen, das mich plagt. Ich fühle mich ausgelaugt und in meinen Ohren hämmert mein Puls. Ich möchte zurücknehmen, was ich gesagt habe, aber ich weiß, dass es richtig war. Ich will nicht schuld sein, dass die Menschheit ein weiteres Mal ihrem Ende entgegensehen muss. Ich sehe Kayla an, und ich sehe die Symptome. Symptome, die jeder von uns auch nach fünfundsiebzig Jahren noch kennt, weil die Alten sie in ihren Erzählungen weitergegeben haben. Ich kann mich nicht länger vor der Wahrheit verschließen.
Luca starrt mich an. Selbst in seinem Gesicht kann ich die widerstreitenden Gefühle sehen. In seiner Hand hält er das ›Mike‹. Seine andere Hand umklammert die Rückenlehne des alten Stuhles so fest, dass die Haut über den Knöcheln ganz weiß wird. Er nickt mir zu und räuspert sich. Hat auch er einen Knoten im Hals?
»Wir werden uns trotzdem bei ihnen melden. Sie sollen wenigstens von Roland erfahren. Sie sind seine Familie«, sagt er. Seine Stimme klingt noch heiserer als sonst.
»Tu das«, sage ich. Ich lege mich zu Kayla ins Bett, ziehe sie in meine Arme und hauche ihr einen Kuss auf den Haaransatz. Ob sie mitbekommen hat, was wir besprochen haben? Ich hoffe so sehr, dass sie das nicht hat. Ich hoffe so sehr, dass sie nicht stirbt und glaubt, ich hätte sie aufgegeben. Das habe ich nämlich nicht. Ich werde für sie da sein, bis zu ihrem letzten Atemzug. Und über das Danach möchte ich nicht nachdenken. Was interessiert mich das Danach?
Luca spricht in das Funkgerät. Eine andere Stimme meldet sich. »Station acht hier, wer spricht?«
»Luca, Station elf. Wir waren mit Roland auf dem Weg zur Station acht .«
»Ah, ihr seid es .« Der Mann am anderen Ende des Kastens hustet in sein ›Mike‹.
Ich kann deutlich sehen, wie Luca zusammenzuckt und sich durch die Haare fährt. Er wirft mir einen unsicheren Blick zu und ich presse die Lippen aufeinander und runzle die Stirn.
»Krank?«, fragt Luca den Mann?
»Was? Nein, ´ tschuldige. Hab mich am Wasser verschluckt.«
Lucas Schultern fallen nach unten und er atmet erleichtert auf.
»Wo … Wo seid ihr jetzt?«
Luca sieht mich fragend an. Er will wissen, ob er es sagen soll. Ob er sie herbestellen soll. Ich bin versucht, ja zu sagen. Kayla dreht sich zu mir um, legt ihren dünnen Arm über meine Brust. Sie ist ganz nass vom Schwitzen. Vielleicht könnten sie ihr helfen? Immerhin gibt es genug Menschen, die den Virus damals überlebt haben. Ein paar in den Kolonien, ein paar in Freiheit. Irgendetwas muss den Virus doch bei ihnen aufgehalten haben. Ich sehe das verkrustete Blut in Kaylas Gesicht und schüttle den Kopf. Luca nickt zur Bestätigung.
»Tut nichts zur Sache. Ihr könnt nichts machen, hier findet gerade eine Jagd statt .«
»Das heißt, ihr sitzt fest? Das wird dem alten Kaninchen gar nicht gefallen. Er hasst es, über längere Zeit irgendwo eingesperrt zu sein .«
»Du … was Roland betrifft …« Luca stammelt, fährt sich wieder durch die Haare. »Also, er ist tot .«
Stille, nur leises Rauschen kommt aus dem Funkgerät. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Jetzt werde selbst ich nervös. Ich beobachte Luca, der seitlich zu mir sitzt, das ›Mike‹ in der Hand, im Gesicht den unnahbaren Ausdruck, den ich aus der Kolonie kenne. Meine Finger gleiten durch Kaylas Haare. Sie fühlen sich klebrig und schmutzig an. Ihr Haar hat den Glanz verloren, den es früher immer hatte. Sie kuschelt sich näher an mich.
»Wie ist es passiert ?«, will der Mann jetzt wissen.
Ich zucke zusammen, wird Luca ihm jetzt von der Krankheit erzählen? Von Rolands Verdacht .
»Eine Bestie«, sagt Luca. Wieder Stille. Bedrückend. »Da ist noch etwas«, sagt Luca. Er schaut wieder zu mir rüber, als wolle er sich noch einmal vergewissern, dass ich es immer noch durchziehen will. Mir wird klar, er fühlt sich dabei genauso schlecht wie ich. Auch er kann Kaylas Tod nicht akzeptieren. Würde das Unvermeidliche gerne besiegen. Ich weiche seinem Blick aus.
»Also, da ist dieses Mädchen, sieben Jahre alt. Sie ist mit uns auf der Flucht. Sie ist
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