Tessy 02: Tessy und die Lust des Mörders
beachtet hatte. Sah aus wie ein Jugendlicher, der ein paar Runden drehen wollte: Kapuzen-Anorak, modernes Mountainbike, leises Pfeifen auf den Lippen und so weiter. Er entriss mir die Tüte und preschte davon – quer durch einen Park und verdammt schnell. Keine Chance. Auf so etwas waren wir nicht vorbereitet. Leider.“ Er räusperte sich.
Tessy verkniff sich ein Grinsen. Jede Wette, dass Brandner und seine Jungs ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt und mit so ziemlich allem gerechnet hatten, nur nicht mit einem fröhlich pfeifenden Fahrradfahrer, noch dazu mitten im Winter. Sie hielt es allerdings für keine gute Idee, eine diesbezügliche Bemerkung zu machen.
„Wie hat er eigentlich Kontakt aufgenommen?“, fragte sie.
„Per Handy – mit unterdrückter Nummer.“
Tessy schätzte, dass es sich um ein Prepaidhandy handelte. Auch für einen Nicht-Profi war es heutzutage überhaupt kein Problem, sich so ein Teil zu besorgen.
„Ein paar Minuten später traf eine Mail ein – er hatte sie an meine Firmenmailadresse geschickt, und angehängt war eine Datei mit den Aufnahmen“, fuhr Brandner fort.
Tessy warf ihm einen auffordernden Blick zu, den er einen Moment ungerührt zurückgab, bis er schließlich seufzte und aufstand. „Sie wollen sich vergewissern, stimmt’s?“
Tessy nickte wortlos. Er ging an einen Wandschrank hinter seinem Schreibtisch und kam kurz darauf mit einem Laptop zurück, der innerhalb weniger Sekunden mit leisem Zischen hochfuhr.
„Ich habe die Mail natürlich von meinem Firmen-PC gelöscht“, erläuterte er. „Sie existiert jetzt nur noch in einer versteckten Datei auf meinem privaten Laptop.“
„Warum?“
„Was genau meinen Sie?“
„Mich interessiert, aus welchem Grund Sie die Mail nicht gelöscht haben.“
Brandner runzelte die Stirn. „Um notfalls beweisen zu können, dass ich erpresst werde. Man weiß ja nie, was kommt. Vielleicht brauche ich irgendwann doch polizeiliche Unterstützung, und Sie wollen ja auch wissen, was es damit auf sich hat, oder?“
Das klang überzeugend. Davon abgesehen verfügten die Spezialisten der Kriminaltechnik über erstaunliche Möglichkeiten, etwas über den Ursprung der Aufnahmen und Dateien herauszubekommen, doch Brandner wollte die Sache zunächst auf seine Weise lösen.
Die Videodatei enthielt durchweg schlüpfrige Szenen, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließen und Tessys Puls auf durchaus angenehme Weise beschleunigten. Drei halb- oder vollständig nackte Frauen wurden aufs Feinste vernascht. Eine war mit dem Oberkörper über eine Werkbank gebeugt, ihre Hände waren gefesselt, und Brandner höchstpersönlich vögelte sie von hinten mit herzhaften Stößen und in peitschendem Rhythmus. Die Frau stieß spitze Schreie der Wollust aus, und Tessy hätte am liebsten anerkennend durch die Zähne gepfiffen. Soviel stand fest: Brandner war kein Mann des sanften, zärtlichen Vögelns, jedenfalls nicht, wenn er sich mit einer Hure vergnügte.
Eine zweite auf dem Rücken liegende Frau hatte es gleich mit zwei Männern zu tun – einer kniete über ihrem Kopf und ließ sich einen von ihr blasen, der zweite lag zwischen ihren weit gespreizten Beinen, fickte sie und sparte nicht mit lobenden Kommentaren bezüglich seines angeblich prachtvollen Schwanzes. Soweit Tessy es beurteilen konnte, neigte er zu Übertreibungen.
Im Hintergrund erkannte sie eine dritte Frau, die an ein Gitter gefesselt war und der es im Stehen von einem Mann besorgt wurde, der gut zwanzig Kilo Übergewicht mit sich herumschleppte und ihrer Einschätzung nach etwas Mühe hatte, in Schwung zu kommen. Aber die Frau verdrehte mit leicht geöffnetem Mund die Augen und erweckte den Anschein, den Jahrhundertfick zu erleben. Offenbar verstand sie etwas von ihrem Geschäft.
Das ungewöhnliche Ambiente war interessant, sofern man dem stählernen und kalten Charme einer Fabrikhalle etwas abgewinnen konnte. Warum nicht? Mal was anderes, dachte Tessy.
In einer zweiten Datei waren einzelne Aufnahmen der beteiligten Männer zusammengestellt. Der Filmemacher und Fotograf war gut. Die abgelichteten Personen waren hervorragend getroffen. Niemand würde sich herausreden können.
Brandner klappte den Laptop zu und packte ihn wieder in den Schrank. Dann kehrte er auf seinen Platz zurück und setzte eine betont gleichmütige Miene auf. Einen Augenblick herrschte Schweigen.
„Noch mal und
Weitere Kostenlose Bücher