Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
überall seine Finger drin. Ein Geschäft hier, ein anderer Deal da. Ob das alles mit rechten Dingen zugeht? Susanne möchte es lieber gar nicht wissen. Der abgelegene Treffpunkt ist jedenfalls schon irgendwie verdächtig …
Es dauert lange, bis sich Susanne wieder auf ihr Buch konzentrieren kann. In ihre Besorgnis mischt sich zudem Ärger. Durch die Aktion sind sie noch später dran. Es ist schon halb acht, dreieinhalb Stunden sind sie schon unterwegs. Weiter als südlich von Leipzig haben sie es aber noch nicht geschafft. So eine Scheiße. Aber soll sie sich deshalb bei Simon beschweren? Den wird das kaum kratzen. Also behält sie ihren Ärger für sich.
Leicht fällt das Susanne allerdings nicht. Denn die nächste Überraschung folgt sogleich. Kurz vor Hof steuert Simon erneut einen Parkplatz an. Selbstverständlich hat er wieder keinen Ton gesagt. Das ist doch eine Unverschämtheit. ›Der macht, was er will. Vor Leipzig hat er wenigstens noch gefragt. So ein Idiot.‹
Langsam fährt Simon Richtung Toilettenhäuschen. Mal sehen, was er jetzt wieder vertickt. Das müssen irgendwelche krummen Geschäfte sein. Wer würde denn einen legalen Deal an so einem düsteren Ort machen? Außer einem schwachen Licht von der Toilette sieht Susanne hier gar nichts. Es ist gespenstisch. Und dann das Klo! Es sieht schon von außen so siffig aus, dass sie es nie im Leben benutzen würde. Doch Simon läuft direkt drauf zu und verschwindet darin. Boah, wie ekelhaft.
Susanne schaut sich um. Außer dem Bus ist hier weit und breit kein Fahrzeug zu sehen, der Parkplatz ist menschenleer. Hoffentlich fahren sie ganz schnell wieder von hier weg. Doch Simon kommt einfach nicht zurück. Schon zehn Minuten sitzt er auf dem Klo. Es ist doch nicht möglich, dass der so lange braucht, selbst wenn er einen Granatendurchfall hätte! Wie kann man nur mehr als zehn Minuten auf diesem assligen Klo verbringen? Irgendetwas stimmt hier nicht. Der wird doch nicht abgehauen sein …
Und was fängt sie hier ganz allein mit diesem schrottigen Bus an? Soll sie weiterfahren? Den Schlüssel hat Simon nämlich einfach stecken lassen. Susanne schreibt eine SMS an ihren Mann. Sie fragt ihn um Rat, doch der antwortet nicht. So ein Mist, jetzt läuft alles schief. Susanne fröstelt, langsam wird es kühl und ungemütlich in dem alten Bus. Von Simon auch nach 15 Minuten keine Spur. Was soll die Scheiße?
Da ist er endlich. Langsam trottet Simon aus der Toilette. Der war tatsächlich 20 Minuten aufm Klo. Unfassbar. Er öffnet die Fahrertür und schwingt sich mit einem Satz auf den Sitz. Am ganzen Körper zittert er und kaut ununterbrochen Kaugummi – fast schon manisch. Susanne glotzt ihn an. Der hat gerade irgendwelche Drogen genommen, das ist ihr sofort klar. Ihr fällt ein alter Schulfreund ein, der auf Speed genauso reagierte. Der hat dann auch noch fürchterlich viel gelabert …
»Was machst du … in Nürnberg?«, will Simon plötzlich wissen. Was soll denn das jetzt? Vorher kriegt er den Mund nicht auf, und jetzt will er sich plötzlich unterhalten. Aber vielleicht vergeht dann die Zeit schneller. Susanne erzählt ihm, dass sie dort mit ihrem Mann lebt. Doch Simon lässt sie kaum zu Ende sprechen, denn ab jetzt redet nur er. Von seiner Freundin Maja, seinen Geschäften mit gebrauchten Motoren. Susanne kommt nicht mehr zu Wort. Mittlerweile ist sie todsicher: Speed. Simon hat einen ordentlichen Laberflash.
Er ist so darauf konzentriert, Susanne zuzutexten, dass er kaum mehr auf die Straße achtet. Zum Glück fährt er keine Schlangenlinien. ›Das fehlt mir gerade noch‹, denkt sich Susanne. Dafür fährt er wesentlich langsamer als vorher. Mit Tempo 70 schleichen sie in Richtung Nürnberg. Knapp 100 Kilometer muss sie sein Gelaber noch ertragen. Verdammt lang – und verdammt anstrengend. Denn je mehr Simon redet, desto mehr nuschelt er. Mehr als »Ich … Motor … eBay« oder »Berlin … Maja … sehen« hört sie irgendwann nicht mehr heraus …
90 Minuten später ist sie endlich erlöst, Simon hält am Nürnberger Hauptbahnhof. Mittlerweile ist es kurz vor elf Uhr nachts, vor sieben Stunden sind sie losgefahren. Normal sind für die Strecke Berlin-Nürnberg viereinhalb Stunden. Dass sie viel länger gebraucht haben, ist kein Wunder bei den vielen komischen Stopps … Am Bahnhof drückt Susanne ihrem Fahrer schnell das Geld in die Hand und springt aus dem Bus. Bloß raus hier. Sonst bereitet ihr Simon noch eine weitere
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