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Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)

Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)

Titel: Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauritius Much
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durch, meist heuerte er für ein paar Wochen in irgendeiner Werkstatt an.
    Mit Ende 20 kehrte der lange, hagere Mann für ein paar Wochen nach Deutschland zurück. Dort kaufte er sich einen alten VW Bulli, Baujahr 1978. Der orangefarbene Bus ist sein Ein und Alles – in ihm wohnt, schläft, isst und reist er. Eine kleine Küche hat er sich im Fond eingerichtet, zwischen ihr und der Heckklappe hat er zwei Matratzen gepackt. Sein Bett. Vier Jahre reiste er so kreuz und quer durch Europa. Dabei reparierte er Motorräder in Kroatien, Autos in Italien oder Lastwagen in Frankreich. Immer blieb er nur ein paar Monate und zog weiter ins nächste Land.
    Doch jetzt ist der Weltenbummler wieder zurück in Deutschland. Und dort will er auch bleiben. Die Jahre in der Fremde waren zwar schön, neue Kulturen, andere Menschen und so. Dabei hat er sich auch selbst geändert, behauptet er. Er gehe viel offener und schneller auf Leute zu als früher. Aber nach fast sechs Jahren ist Schluss mit der Reiserei. Jetzt will er sich in Deutschland eine Existenz aufbauen. Ehrenwort.
    Keine 20 Minuten sitzt Jakob in dem orangefarbenen Bus, schon kennt er Georgs Lebensgeschichte. Zu Wort kommt er selbst gar nicht, nur der Typ mit den Dreadlocks quatscht. Doch das stört Jakob nicht. Denn als Ethnologiestudent interessieren ihn die Erzählungen über die anderen Länder und fremden Kulturen. Er lernt sozusagen am lebenden Objekt. Einen echten Aussteiger, einen Weltenbummler, hat er noch nie kennengelernt.
    Gemeinsam fahren die beiden von Duisburg nach Gießen. Dort will Georg zusammen mit einem Kumpel eine eigene Kfz-Werkstatt gründen. Sein eigener Chef sein, sich von niemandem was sagen lassen müssen – das ist es! Entschlossen trommelt er mit der rechten Faust auf das Lenkrad. Mit solchen Gesten oder Satzfetzen wie »ich schwöre« oder »Ehrenwort« macht er ganz klar, wie ernst es ihm damit ist. Oder ist er sich doch nicht ganz so sicher und will sich deshalb selber pushen?
    Georg greift auf das Armaturenbrett zu seinem Tabak. Mit einer Hand schafft er es, ihn auf dem Paper zu verteilen. Während er dreht, lenkt er kurze Zeit mit seinen beiden Oberschenkeln. Das macht er sicher nicht zum ersten Mal, davon ist Jakob überzeugt. Die Technik hat er sich bestimmt bei seiner Europareise angeeignet. Schließlich drückt Georg auf den Zigarettenanzünder und fängt an zu rauchen. Ein bisschen enttäuscht ist Jakob schon. Bei einem Typ mit solchen Dreadlocks hätte er schon einen Joint erwartet.
    Auch Georgs Bulli wirkt wie die reinste Kifferhöhle. Im ganzen Bus stinkt es nach Räucherstäbchen. Aus den Boxen quillt tranceartige Musik, mal ist sie ruhiger, dann rappiger. Für Leute, die gerade gekifft haben, wäre sie sehr chillig, denkt Jakob. Irgendwie scheint das Lied auf Endlosschleife zu laufen. Eine hölzerne Buddhastatue hat Georg über dem Autoradio auf das Armaturenbrett geklebt. Darunter ist ein Bild einer indischen Gottheit. Ist das Vishnu oder Shiva? Keine Ahnung.
    Georg grinst, weil er merkt, wie Jakob die Holzstatue anstarrt. »Das ist Brahma, der Gott der Schöpfung … War schon echt krass in Indien.« Er erzählt von den Drogenräuschen in Goa, aber auch der Armut in den Slums von Kalkutta. Er schwärmt von der Bergwelt in Kaschmir und der pulsierenden Metropole Mumbai. »Weißte, Indien ist halt echt voll vielseitig«, erzählt er. Deshalb blieb er dort auch ein Jahr.
    »Willste ’nen Kaffee?« Jakob nickt. Er hat viel Zeit, deshalb macht es ihm gar nichts aus, dass Georg an der nächsten Raststätte rausfährt. Doch der denkt gar nicht daran. Stattdessen deutet er auf eine kleine Dose mit Kaffee-Pads. »Nimm dir eins raus und pack es in die Kaffeemaschine, die steht hinter meinem Sitz.« Wow, einen selbstgemachten Kaffee während der Autofahrt hatte Jakob auch noch nie. Er klettert vom Beifahrersitz in den Fond des Busses. Neben einer Bank ist hier eine kleine Küche mit zwei Herdplatten zu sehen. Daneben steht ein flacher Schrank mit Tassen und Tellern. Darauf die Kaffeemaschine, in die Jakob das Pad legt. »So, jetzt musst du nur noch eine Tasse drunterstellen und auf das Knöpfchen drücken«, brüllt Georg von vorne.
    Jakob ist beeindruckt. Von außen sieht der Bulli aus, als würde er gleich auseinanderfallen. Jede noch so kleine Steigung auf der Autobahn ist für ihn fast zu viel. Mühsam quält er sich mit 40, 50 km/h nach oben. Doch innen hat er nicht nur eine ganz Küche, sondern offenbar auch richtigen Strom.

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