Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
Haare noch einmal verführerisch hinter sich und geht – Arm in Arm mit ihrem Verlobten.
Traurig starrt Marco den beiden nach. An Benoits Stelle hätte er sein sollen, stattdessen steht er jetzt ganz alleine am Bahnhof in Freiburg. Dann schüttelt er den Kopf und lacht. Immerhin, denkt er sich, ein so wunderschönes Gedicht von Goethe auf Deutsch mit zartem französischem Akzent – das bekommt selbst Benoit von ihr nicht vorgetragen.
Eine typischere Mitfahrerkonstellation gibt es wohl kaum: Vor dem Büro der Mitfahrzentrale in Frankfurt warten ein älterer türkischer Herr, zwei Südamerikanerinnen Anfang 30 und eine deutsche Studentin. Eine solche Mischung von Fahrgästen hat Franz fast immer, wenn er freitags zu Frau und Kindern nach Münster aufbricht. Viele Migranten und ein paar Studenten. Heute, also gut zehn Jahre später, hat sich das Verhältnis umgedreht. Jetzt sind Studenten eindeutig die häufigsten Mitfahrer.
Franz hilft seinen Fahrgästen, die Taschen im Kofferraum zu verstauen. Dann eilt er zurück ans Steuer. Bloß keine Zeit verlieren, er will so schnell wie möglich heim zu seiner Familie. Wer wo sitzt, ist ihm vollkommen egal. Hauptsache, sie können sofort los. Dass die Studentin neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz nimmt, interessiert ihn kaum. Wird ein bisschen von ihrem Studium erzählen und gleich einschlafen, schätzt er. Auch gut, dann hat er wenigstens schnell seine Ruhe …
Kaum sitzen die beiden Südamerikanerinnen auf der Rückbank, ist es mit der Ruhe vorbei. »Du bist voll gemein«, ruft eine von ihnen. »Ich wollte vorne sitzen.« Hä? Meint die mich? Fragend schaut Franz in den Rückspiegel. Ist ihm doch völlig egal, wer wo sitzt. »Hey, dich mein ich«, sagt das Mädel mit dem schwarzen Pferdeschwanz und dem cappuccinofarbenem Teint. Keine Reaktion. Dann packt sie die Studentin an der Schulter. »Bist du immer so egoistisch?« »Lass’ das«, sagt die Beifahrerin. Sonst nichts.
›Meine Güte, wie im Kindergarten‹, schießt es Franz durch den Kopf. Wie zwei bockige Sechsjährige streiten sich zwei erwachsene Frauen, wer vorne sitzen darf. ›Schlimmer als meine drei Kinder‹, denkt sich Franz. Darauf hat er jetzt echt keinen Bock. Hoffentlich halten die bald die Schnauze. Streit ist das Letzte, was er gebrauchen kann. Er will seine Ruhe – und möglichst schnell zu Hause sein. »Das ist ganz schön mies von dir. Ich wollte vorne sitzen.« Verächtlich schüttelt die Frau auf der Rückbank ihren Kopf. »Du kriegst doch eh keinen Mann ab.« Doch die Studentin bleibt ruhig. Aussitzen scheint ihre Devise zu sein.
Doch Franz gehen die Sticheleien mächtig auf die Nerven. Er hat eine lange Woche mit viel Arbeit hinter sich. Streitende Mitfahrer passen ihm gar nicht. »Ich finde es eine Frechheit, dass die da vorne sitzen darf. Ich wollte nach vorne.« Die Dame hinten kommt nicht zur Ruhe. Jetzt ist Franz mitten drin im Streit. Er hat keine Ahnung, was vorher passiert ist. Hat die Studentin der anderen den Beifahrersitz überlassen, ihr Versprechen aber dann gebrochen? Oder sind die beiden wie bei der Reise nach Jerusalem auf die Beifahrertür zugerannt, und die Studentin war schneller? Die Tussi wird sich ja nicht umsonst so aufregen. Also versucht er, die verärgerte Mitfahrerin zu beruhigen. »Hey, egal, was vorher war. Wir sitzen jetzt so. Wir sind alle in einem Boot, wollen schnell nach Münster. Aber wir machen auf der Hälfte der Strecke eine Pause, ab dann kannst du vorne sitzen.«
Mit dem Kompromiss ist hoffentlich Ruhe. Aber Franz irrt sich. Keine drei Minuten später geht das Theater von vorne los. »So ein selbstsüchtiges Stück habe ich noch nie gesehen. Die klaut mir meinen Platz. Das ist Diebstahl.« Doch wieder steckt die Studentin die Beleidigung einfach so weg. Die Südamerikanerin kann das nicht fassen. Wäre ihr jemand so blöd gekommen, sie hätten schon längst richtig zurückgekeilt. Wieso bleibt die so ruhig? Das macht die Frau mit dem schwarzen Pferdeschwanz erst richtig wütend. »Du bleibst ein Leben lang allein, so egoistisch, wie du bist!« Wieder keine Reaktion.
Doch Franz reicht es jetzt. »Hör mal, wir können gerne mal tauschen. Aber wenn du jetzt nicht aufhörst, dann bleibst du hier in Frankfurt.« Das hat gesessen. Es ist Freitagabend, ohne ihn kommt die Südamerikanerin heute nicht mehr nach Münster. Also wird sie sich jetzt am Riemen reißen.
Falsch gedacht, denn die Frau ist jetzt so richtig in Fahrt. »Es ist unverschämt,
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