Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
glücklich, dass er das Schlimmste hinter sich hat. Gleichzeitig ist er aber auch verdammt stolz. »Ich finde, du hast eine Belohnung verdient. Wenn du willst, kannst du bis kurz vor der Landung fliegen.«
Wie geil ist das denn! Horst ist aus dem Häuschen. Mit dem letzten Schaukeln ist endgültig jede Angst vorm Fliegen verschwunden, ab jetzt genießt er wieder jede Sekunde. Er grinst bis über beide Ohren. Fliegen ist echt der Hammer. Wenn er nicht schon Lehrer wäre, würde er am liebsten Profi-Pilot werden. Für die Landung übernimmt dann wieder Siggi. Ganz sachte setzt er die Cessna auf. Dass er ein solches Fahrwerk noch nie geflogen hat, merkt man überhaupt nicht.
Die Cessna rollt langsam über den Aschaffenburger Flugplatz. Nur eine Stunde haben sie gebraucht. Horst freut sich: Selbst eine Cessna fliegen, statt stundenlang im Stau stehen – das hat sich echt gelohnt. Zehn Minuten später ist Horst zu Hause bei seinen Eltern. Doch er kann es kaum erwarten, am Sonntag wieder zu Siggi in das Flugzeug zu steigen. Vielleicht lässt er ihn dann wieder fliegen. Eines ist Horst aber jetzt schon klar. Cessnas sind sein Ding. Die Ultraleichtfliegerei lässt er gleich wieder bleiben, er schult um auf richtige Maschinen. Gesagt, getan. Seitdem macht er in seiner Freizeit den Pilotenschein. Sobald er damit fertig ist, nimmt er selbst Mitflieger mit.
Wer auf seinen Fahrer wartet, schaut sich nicht nur alle ankommenden Autos genau an. Man studiert auch die Menschen in der Umgebung aufmerksam. Hat jemand einen Rucksack dabei und beobachtet die ankommenden Wagen, dann fährt er garantiert selbst wo mit – vielleicht sogar im selben Auto. Schnell wird der andere taxiert. Ist er eher ein Langweiler oder kann man sich mit ihm an Bord unterhalten? Freut man sich auf ihn, oder hofft man, dass er bitte woanders einsteigt? Nicht selten stimmen die eigenen Prognosen …
Vor dem Kölner Hauptbahnhof stehen viele potenzielle Mitfahrer, doch eine sticht Marco sofort ins Auge. Sie ist 1,70 Meter groß und hat schulterlanges, hellbraunes Haar, trägt einen schmal geschnittenen schwarzen Cordmantel und eine enge beige Hose. Über ihr hübsches, leicht braun gebranntes Gesicht huscht ein Lächeln. Marco schätzt sie auf Anfang 20. Mein Gott, ist die hübsch, denkt er sich. Normalerweise dreht er sich nicht nach Frauen um, aber als die schöne Brünette mit ihrem Rollkoffer an ihm vorbeigeht, kann er nicht anders. Mit offenem Mund glotzt er dem Mädchen hinterher. Eine absolute Traumfrau. Marco schießt nur ein Gedanke durch den Kopf: Hoffentlich fährt sie im selben Auto mit.
Ein dunkelblauer Golf mit Remscheider Kennzeichen biegt auf den Parkplatz ein. Das muss Nils sein, der Fahrer. Marco schüttelt ihm die Hand und packt seine Tasche in den Kofferraum, dann setzt er sich auf die Rückbank. Vorne sitzt schon Nils’ Freundin Katja. Dann öffnet sich die rechte hintere Tür. »Aló«, sagt eine Frau mit einer sehr sanften Stimme und steigt ein. Marco dreht sich zu ihr um und ist baff: Die hübsche Brünette! Der Wahnsinn wird Wirklichkeit. Und dann dieser süße, säuselnde Akzent. Eine Französin ist sie auch noch! Heute fallen Weihnachten und Ostern auf einen Tag. Marco verschlägt es die Sprache, nur sehr mühsam stammelt er ein leises »Ha…llo«.
Marco traut sich gar nicht, die Französin richtig anzuschauen, weil er Schiss hat, sie regelrecht anzustarren. Doch irgendwann muss er sie ansehen, schließlich will er die hübsche Frau kennenlernen. Dumm nur, dass Marco hundemüde ist. Die letzten drei Nächte hat er kaum gepennt, weil er durchgearbeitet hat. Eigentlich wollte er jetzt die Autofahrt nutzen, um Schlaf nachzuholen. Aber jetzt nicht, die Französin hat höchste Priorität. So eine Gelegenheit kriegt Marco vielleicht nie wieder.
Fieberhaft überlegt er, wie er sie am besten anspricht. Es soll nicht zu plump sein, aber auch nicht gezwungen witzig. Spontan und lustig will er rüberkommen. Blöderweise ist er jedes Mal alles andere als kreativ, wenn er müde ist. Ihm will nichts einfallen. Wie ärgerlich, die Umstände sind doch perfekt! Bis der Wagen in Freiburg ankommt, wird die junge Frau ein paar Stunden neben ihm sitzen. Sie muss dort bleiben, selbst wenn er den Einstieg ins Gespräch vermasselt. Angst braucht er auch keine haben, dass Nils ihm bei der Französin in die Quere kommt. Denn erstens sitzt seine Freundin Katja neben ihm auf dem Beifahrersitz, und zweitens unterhalten sich die beiden die ganze Zeit.
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