Testplanet Kratos
eine Tür an seinem Schreibtisch, holte Flaschen und Gläser heraus und schenkte ein.
»Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie angloindischer Abstammung, Lieutenant. Eine gelungene Kombination. Ich hatte einmal einen angloindischen Ersten Offizier, der bestaussehende Mann – zumindest nach Meinung der Damenwelt – im ganzen Sonnensystem. Er war außerdem ein teuflisch guter Schachspieler. Ich habe nie gegen ihn gewinnen können.«
Indira lächelte. »Infolge der britischen Herrschaft über Indien ist der Name Smith in diesem Land fast schon so etwas wie alter Adel geworden. Zur Erklärung: Meine Mutter war Engländerin.«
Conrad wirkte leicht verwirrt. »Nach den mir vorliegenden Unterlagen sollte Ihr Haar eigentlich schwarz sein. Warum ist es weiß?«
»Die Akten müssen wohl noch auf den neuesten Stand gebracht werden«, bemerkte Indira gelassen. »Ich wurde von einer Horde brasilianischer Eingeborener vergewaltigt, die danach meinem Liebsten die Augen herausquetschten und mir schließlich die Beine abschnitten. Reicht Ihnen das als Erklärung?«
»Das ist natürlich Grund genug«, sagte Conrad. »Wissen Sie eigentlich viel über die Arbeit, zu der Sie sich gemeldet haben?«
»Nein.« Der Wodka und die Schmerzstiller begannen bereits zu wirken. »Aber vielleicht vergeuden wir nur Ihre und meine Zeit. Können Sie wirklich etwas mit einer Frau anfangen, die auf Blechbeinen herumläuft, einen Selbstmordversuch hinter sich hat und mehr Ekel vor dem Sex empfindet als eine Nonne?«
Conrad ließ sich Zeit mit seiner Antwort und sah sie sich zunächst genau an. Sie wirkte zerbrechlich, nicht nur körperlich, sondern auch von ihrer unsicheren Haltung her. Als sie das Glas mit dem Wodka und Tonic gehoben hatte, hatte ihre Hand gezittert. Aber Conrad wußte aus den Berichten über sie, daß Indira Smith eine physisch stark belastbare Frau mit überdurchschnittlicher Intelligenz war. Außerdem hatte sie während ihres Dienstes beim Terranischen Katastrophen-Korps Erstaunliches geleistet.
Conrad empfand echtes Mitleid für Indira Smith. Aber er wußte genau, daß er ihr das nie zeigen durfte. Eines Tages würde er sich vielleicht den Luxus erlauben können, ihr zu erklären, daß er sie für eine bewundernswerte Frau hielt. Aber jetzt noch nicht. Im Moment galt es nur festzustellen, ob sie zur Verfügung stehen könnte.
»Verzeihen Sie mein wenig sensibles Auftreten«, erklärte er ihr kühl, »aber ich könnte vielleicht eine Frau mit Blechbeinen und so weiter gebrauchen. Möchten Sie etwas über den Job erfahren?«
Sie nickte und ließ sich ein zweites Glas einfüllen. »Dann schießen Sie mal los, Commander.«
»Mir hat das Schicksal sicher nicht ganz so übel mitgespielt wie Ihnen, aber dennoch gehören wir beide zu dem, was man den menschlichen Abfallhaufen nennt. Und gerade darauf kommt es hier an.«
»Erzählen Sie weiter, Commander«, sagte Indira gelassen, »ich habe sowieso nichts zu verlieren.«
Conrad beugte sich zu ihr vor. »Aber Sie haben einiges zu gewinnen.«
»Und was könnte das sein?«
»Eine neue Welt für die Menschheit finden. Kratos, so nennt man diesen Planeten.« Und dann erklärte er ihr, worum es bei ExPEND eigentlich ging.
»Es gibt fünfundzwanzig Milliarden Gründe für die Wichtigkeit dieses Projekts – fünfundzwanzig Milliarden Menschen, von denen die meisten hier auf Terra leben. Sicher, wir haben Kolonien auf Luna, Mars, Merkur, Venus und ein oder zwei Satelliten. Aber alles in allem machen die Kolonisten im Solsystem nicht einmal ein Tausendstel Prozent der Gesamtmenschheit aus.« Conrad setzte ein grimmiges Lächeln auf. »Wir sind zu rasch zu weit gekommen. Die Erde ist so gut wie ausgelaugt. Die Erdölvorkommen sind nahezu erschöpft, Wüsten breiten sich dort aus, wo einst guter Boden bestellt wurde. Die Erde kann nicht mehr viel von dem vertragen, was die Menschheit ihr im Namen des Fortschritts zugemutet hat. Was machen wir mit den Ärmsten, den Unterentwickeltsten, wenn die Menschheit zahlenmäßig den Punkt erreicht, an dem die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr mitkommt? Und dieser Moment ist nicht mehr utopisch. Wir können sie nicht in großer Zahl auf den Mars transportieren, weil das dortige Terraformungsprogramm noch Jahrhunderte in Anspruch nehmen wird. Und alle anderen Kolonien sind vollständig auf Lebenserhaltungssysteme angewiesen … damit steht man vor folgender Entscheidung: Entweder man stellt sich auf den Standpunkt, die Menschheit sei in ihrer
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