Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
versuchte unter der Schicht aus Löschmittel, Leder und verkohltem Metall Hinweise zu erkennen, was sich hier zugetragen haben könnte. Der Kollege hatte recht, nicht die Beine waren an die Maschine gebunden, sondern das Motorrad mittels einer schweren Kette an der Leitplanke fixiert. Vermutlich sollte das Fahrzeug gegen Umfallen gesichert werden. Ohne jeden Zweifel hatte sich hier Schreckliches zugetragen, an dem mindestens eine weitere Person beteiligt war.
»Fundort und Tatort«, murmelte sie anerkennend. »Da haben Sie wohl gar nicht so falschgelegen.«
»Danke«, lächelte der Beamte. »Ich geh dann mal wieder zurück und warte auf die Nächsten. Sie bringen doch die Kavallerie mit, hoffe ich?«
»Spurensicherung und so weiter sind informiert, ja. Wäre gut, wenn Sie die Kollegen dann zügig hierherführen. Haben Sie da vorne auch jemanden?« Julia deutete auf den herabführenden Bogen am Südende der Brücke. »Wenn jemand von der Rechtsmedizin anrückt, werden die sicher von dort unten kommen.«
»Nein, da drüben haben wir nichts verloren«, grinste der Beamte schief. »Außerdem steht unten eine Streife und riegelt den Zugang ab. Die werden sich dann schon drum kümmern.«
»Wieso haben Sie da nichts verloren?«
»Offenbach«, entgegnete er knapp und deutete auf die Mitte des Flusses unter ihnen. »Die Stadtgrenze verläuft hier auf dem Main. Muss ich noch mehr sagen?«
Julia Durant schüttelte den Kopf und seufzte. »Nein, schon klar«, sie rollte erneut mit den Augen, »ich habe verstanden.«
Frankfurt am Main und Offenbach – man konnte dies wohl nur als Einheimischer verstehen. Sie waren so unterschiedlich, wie zwei Städte nur sein konnten, und doch konnte niemand so recht sagen, an welchen Faktoren man diese Unterschiede festmachen sollte. Für gebürtige Offenbacher war Frankfurt ein Moloch, eine Stadt, die sich wie ein Virus in alle Richtungen ausbreitete und die umliegenden Gebiete einfach schluckte. Dabei gab man sich weltmännisch und zukunftsorientiert, aber in der Praxis waren es eher Herablassung und Überheblichkeit.
Offenbach war viel mehr als ein unbedeutender Vorort der Mainmetropole, mehr als nur das Arbeiter- und Ausländerviertel, mehr als das Industriegebiet der eleganten Stadt. Doch wer in Frankfurt aus dem Fenster blickte, der sah auf der anderen Mainseite eben nur Fabrikschlote, Hafenarbeiter, und in den Nachrichten las man aus Offenbach – wenn überhaupt – Meldungen über Kriminalität anstatt über Kultur. Julia Durant konnte an einer Hand abzählen, wie oft sie sich mit dem benachbarten Stadtbezirk auseinandergesetzt hatte, den gemeinsamen Fall mit ihrem Kollegen Peter Brandt vor einigen Jahren mal außen vor gelassen. Doch sie hegte auch keine Animositäten und favorisierte keinen der bitter rivalisierenden Fußballvereine. Sie verstand nicht einmal, warum diese Rivalität überhaupt noch bestand, denn die Eintracht und die Kickers spielten längst in verschiedenen Ligen, doch diese Tatsache würde sie kaum mit Peter Brandt diskutieren wollen. Durant war eine gebürtige Münchnerin, was ihr den Zwang ersparte, sich für eine Seite entscheiden zu müssen. Julia liebte Frankfurt, wo sie seit rund zwanzig Jahren lebte und arbeitete und Anschluss gefunden hatte, und sie liebte auch ihren Job, immerhin leitete sie Mordermittlungen im größten und modernsten Polizeipräsidium Hessens.
Die Kommissarin ließ ihren Blick prüfend über den toten Körper wandern, der in unnatürlich lässig scheinender Haltung auf dem Sattel der Harley saß. Er trug einen offenen Motorradhelm – mehr ein Deckel als eine sichere Kopfbedeckung, wie Julia dachte. Kein Visier, kein Schutz für Nacken, Gesicht und Kinn, aber andererseits hätte ein geschlossener Helm ihm heute Nacht auch nicht das Leben gerettet. Die Gesichtshaut war verkohlt, der Mund weit geöffnet, von den Augen nicht mehr zu sehen als schwarzbraune Verkrustungen in den Höhlen. Das Gleiche galt für die Hände. Diese waren wie der Rest des Körpers zum Teil mit Rückständen des Löschmittels bedeckt. Während der Oberkörper offenbar in einer Lederjacke steckte, hatte der Tote an den Beinen vermutlich eine Jeans getragen. Diese war mit der Haut verschmolzen und bildete eine undefinierbare Masse, von der ein äußerst unangenehmer Geruch ausging, wie die Kommissarin beim Hinabbeugen bemerkte.
»Andrea wird ihre Freude haben«, murmelte sie mehr zu sich selbst. Doch dann bemerkte sie einen Feuerwehrmann, der sich ihr von
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