Teufelsengel
etwas konnte ein Muster ergeben.
Doch das würde die Polizei nicht ausposaunen. Sie würde diese Informationen so lange wie möglich unter Verschluss halten.
Romy seufzte. Wenn sie doch nur ein paar Hinweise mehr zur Verfügung hätte!
Sie sah sich nach der Serviererin um und machte ihr ein Zeichen. Wenig später stellte das Mädchen ihr einen neuen dampfenden Becher auf den Tisch. Die Schokolade im Alibi wurde nicht aus klebrig süßem Instantpulver hergestellt, sondern aus herbem Kakao mit echter Schokolade. Romy war süchtig danach.
Sie nahm einen Schluck, leckte sich den Schaum von der Oberlippe und beugte sich wieder über ihre Notizen.
Das Alter der Mordopfer (Mona Fries: 38, Alice Kaufmann: 18, Ingmar Berentz: 60, Thomas Dorau: 22) schien kein System zu ergeben. Eher schon das Geschlecht der Toten: weiblich, weiblich, männlich, männlich.
Aber welche Bedeutung konnte die Doppelung haben?
Allmählich brummte ihr der Schädel. Ihre Gedanken fuhren Karussell. Es hatte keinen Sinn, hier sitzen zu bleiben und weiterzugrübeln.
Romy trank aus, winkte der Kellnerin, zahlte und packte ihre Sachen zusammen. Dann ging sie in die Tiefgarage, um ihren Wagen zu holen. Sie nahm ihn nur an den Tagen mit zur Arbeit, an denen sie wusste, dass sie unterwegs sein würde.
Auf dem Weg durch die Tiefgarage pfiff sie leise vor sich hin. Sie hielt sich nicht gern hier unten auf. Das viel zu laute Klappern ihrer Absätze hallte hohl von den schmuddeligen weißen Wänden wider, und wie immer hatte sie den Eindruck, jemand folge ihr in einigem Abstand, obwohl sie niemanden sah. Als sie endlich in ihrem Fiesta saß, drückte sie hastig die Zentralverriegelung.
Gleich zu Anfang ihres Volontariats hatte sie sich von ihren Eltern ein transportables Navigationsgerät gewünscht und es auch postwendend bekommen. Sozusagen als verspätetes Abschiedsgeschenk. Und das äußerst symbolisch. Die Eltern wanderten aus und hinterließen ihrer Tochter ein Mittel, um sich allein in der Welt zurechtzufinden.
Romy grinste. Sie befestigte das Navi in der Halterung und programmierte ihr Ziel ein.
Köln. Lövenich. Lahnstraße.
Die Anschrift von Alice Kaufmann.
Sie liebte es, unterwegs zu sein. Dieses Kribbeln im Bauch zu spüren, das sich immer dann meldete, wenn sie spürte, dass sie im Begriff war, einen Schritt weiterzukommen. Es hatte angefangen zu schneien. Die Flocken waren mickrig, aber sie blieben liegen. Auf der Fahrbahn bildete sich ganz allmählich ein weißgrauer Film.
Nicht mehr lange, und die Straßen wären verstopft. Doch das war Romy egal.
Sie war unterwegs. Zu einer Geschichte.
War es nicht das, worauf es ankam?
Kapitel 5
Schmuddelbuch, Mittwoch, 12. November, Diktafon
Es ist vierzehn Uhr fünf. Ich befinde mich in Köln Lövenich und parke in der Lahnstraße, schräg gegenüber von dem Haus, in dem Alice Kaufmann gelebt hat. Ich benutze mein Diktiergerät, um alles möglichst genau zu dokumentieren.
Warum beginne ich mit Alice Kaufmann?
Sie ist mir als Erste in den Kopf gekommen.
Vielleicht, weil sie genauso alt war wie ich.
Wenig los hier. Zwei Frauen, die ihre Hunde ausführen. Ein kleiner Junge, der einsam auf rutschigen Treppenstufen spielt. Dann und wann ein langsam fahrender Wagen, der Abgaswolken in die kalte Luft bläst.
Hier also hat Alice gewohnt.
Ein schlichtes Reihenhaus. Ordentlicher Vorgarten. Die Mülltonnen hinter einer frisch gezimmerten Holzwand verborgen.
Spießig.
Neugierige Nachbarn. Gardinen, hinter denen verräterisch die hellen Kreise von Gesichtern schimmern. Hier passt jeder auf jeden auf.
Und trotzdem konnte Alice so mirnichtsdirnichts sterben.
Alice. Ein schöner Name.
Mir ist schlecht vor Aufregung. Soll ich einfach klingeln? Guten Tag. Ich komme vom KölnJournal und möchte mit Ihnen über Ihre tote Tochter sprechen.
Kann ich das tun?
Muss man den Eltern nicht ihre Ruhe lassen? Ihre Trauer respektieren? Es ist schließlich erst vier Monate her.
Guten Tag. Mein herzliches Beileid. Ich bin Romy Berner …
Ich könnte mich auch als Freundin ihrer Tochter ausgeben.
Oh Mann, mir ist kotzübel.
Calypso trat auf die Straße und sog tief die kalte Luft ein. Er beugte sich vor und schüttelte die Haare aus. Mit beiden Händen zerstrubbelte er sie, bis er sich wieder wie ein Mensch fühlte.
Ab jetzt kein Gel und kein Wachs mehr. Kein Hinter-die-Ohren-Streichen. Keine Anmache vom Filialleiter. Kein Zähnezusammenbeißen. Kein Duckmäusern. Keine schlechten
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