Teufelsengel
Zoobrücke ohne Gondeln war wie der Rhein ohne Schiffe. Er vermisste sie.
Die Anstrengung steckte ihm in den Knochen. Auch Rick war von den vielen Gesprächen geschafft gewesen. Rick wollte immer alles und das sofort. Manchmal musste Bert ihn vorsichtig bremsen, weil er den Befragten zu schnell zu viel Druck machte.
Keine neuen Erkenntnisse. Der Tag war ohne einen einzigen Lichtblick vergangen. Für morgen hatten sie sich die nächste Runde vorgenommen. Obwohl die erste Euphorie sich gelegt hatte, waren sie nach wie vor sicher, auf der richtigen Spur zu sein.
In seiner Wohnung angekommen, überfiel ihn Schwermut. Er hatte sich mit wenigen, rasch zusammengetragenen Möbeln eingerichtet, honigfarbenen Weichholzschränken, bunten Ikeasesseln und Kieferregalen, wenig originell, dafür jedoch praktikabel.
Bert beschloss, eine Kleinigkeit zu essen und danach noch eine Stunde zu laufen, um den Kopf freizukriegen. Aber zuerst würde er seine Kinder anrufen. Er hatte das dringende Bedürfnis, ihre Stimmen zu hören und sich zu vergewissern, dass mit ihnen alles in Ordnung war. Dass sie nicht gemobbt, erpresst oder bestohlen wurden. Dass Drogen für sie nicht existierten. Und dass sie das Wort Sekte nicht einmal buchstabieren konnten.
Niemand außer Bruder Arno kannte den Anlass für das Treffen. Zum Abendessen war Vero nicht erschienen. Wahrscheinlich fastete er wieder. Während er sich mit Exorzismen beschäftigte, nahm er kaum Nahrung zu sich, um seinen Geist zu stärken.
Bruder Arno wusste, dass er selbst den Willen zur Askese niemals aufbringen würde. Er war zu sehr von den schönen Dingen des Lebens abhängig.
Aus diesem Grund war er Künstler geworden. Und in den Orden war er nicht zuletzt auch deshalb eingetreten, weil das Klosterleben es ihm ermöglicht hatte, sich vollkommen seiner Kunst zu widmen.
Als Vero den Raum betrat, erstarb das Gemurmel. Aller Blicke richteten sich auf ihn.
Vero setzte sich und schaute ernst in die Runde.
»Es gibt ein Problem«, sagte er.
Eine feine, kaum wahrnehmbare Welle der Beunruhigung folgte dieser Äußerung. In den vergangenen Monaten hatte es diverse Probleme gegeben. Die Lösung dieser Probleme hatte sie alle in Gewissensqualen gestürzt.
»Eine junge Volontärin des KölnJournals ist unerlaubt bei uns eingedrungen. Durch das Fehlverhalten zweier unserer Mitbrüder«, Vero warf erst Bruder Matteo, dann Bruder Arno einen kalten Blick zu, »hat sie Dinge gesehen, die nicht für die Augen Außenstehender bestimmt sind.«
Bruder Arno kam sich vor wie am Pranger. Alle hatten begriffen, dass Vero hauptsächlich ihn meinte, alle begafften ihn. Sie verurteilten ihn ohne Worte.
»Natürlich könnten wir auf bewährte Weise versuchen, sie an uns zu … binden«, fuhr Vero fort. »Aber sie ist von der Presse und kann unserer Sache ernsthaft schaden. Und gerade jetzt«, er nahm den Bleistift, der auf einem Notizblock vor ihm lag, und kritzelte etwas auf das oberste Blatt, »ausgerechnet jetzt hat sich die Polizei bei uns gemeldet, die ein paar Fragen hat.«
Das hatte sich übers Wochenende herumgesprochen, ebenso wie die Sache mit Pia. Nur Bruder Miguel, der noch mit seiner Gehirnerschütterung im Bett lag, wusste nichts davon.
»Ich möchte die Bruderschaft nicht unnötig belasten«, sagte Vero und drückte den Bleistift so stark auf das Papier, dass die Spitze mit einem lauten Knacken abbrach. »Wenn es allen recht ist, kümmere ich mich selbst um … die junge Dame.«
Sie nickten. Jeder war froh, dass Vero das Problem vom Tisch wischte. Jeder wollte so schnell wie möglich wieder zum normalen Alltag zurückkehren. Deshalb nickten sie auch weiter, als Vero sich Bruder Arno zuwandte.
»Auf deine Unterstützung allerdings werde ich nicht verzichten. Wir haben dich zu lange geschont. Nur dadurch sind wir in diese missliche Lage geraten.«
»Aber ich …«
»Du hast Skrupel entwickelt und bist … dort gewesen. Das hätte niemals geschehen dürfen.«
Bruder Arno senkte den Kopf. Es war gerecht. Er hatte einen schweren Fehler begangen und musste nun dafür büßen.
Kapitel 23
Schmuddelbuch, Dienstag, 25. November, Diktafon
Die längste Nacht meines Lebens.
Ich bin erschöpft und hungrig.
Aber hellwach, obwohl ich keine Sekunde geschlafen habe.
Vielleicht kann ich das Diktiergerät verstecken. Vielleicht findet es jemand. Eine Putzfrau, ein Besucher, irgendjemand, der außerhalb dieser Mauern lebt.
Bitte!!! Wende dich an die Polizei!!!
Ich könnte es in
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