Teufelsfrucht
Gemüse für einen mirepoix zu würfeln oder auf die Schnelle das Rosinensößchen für die Kalbsmedaillons herzustellen. Alles musste schon griffbereit dastehen, portioniert, abgemessen, vorgewürzt, mise en place.
Kieffer überprüfte zunächst seine Schüsseln. Rechts neben seinem Herd standen zwölf quadratische Edelstahlbehälter, parallel in zwei Reihen angeordnet. Sie enthielten grobes und feines Meersalz; schwarzen und weißen Pfeffer; Zucker; tomates concassées; Petersilienchiffonade, süßes Paprikapulver; kleine getrocknete Chilis; karamellisierten Knoblauch; ferner Zitronenschnitze und -zesten. Nachdem er die Metallbehälter kontrolliert hatte, öffnete er sechs Tupperdosen, die neben den Schüsselchen standen. Darin waren frische Kräuterzweige: Lorbeer, Thymian, Rosmarin und Minze, außerdem chapelure und Mehl. Er nickte zufrieden und ließ den Blick über seine Arbeitsfläche streifen. Sie bestand aus zwei Plastik-Schneidebrettern, die auf feuchten Küchentüchern ruhten, damit sie nicht verrutschten. Daneben lagen drei japanische Edelstahlmesser, ein kleines Schälmesser, ein großes Allzweck-Küchenmesser sowie ein breitklingiges Santoku. Alle drei hatte Kieffer am Morgen mit einem feuchten Wetzstein geschärft. In der Schublade unter der Arbeitsfläche warteten diverse Fonds, die er gestern in vierstündiger Arbeit hergestellt hatte: heller und dunkler Hühnerfond; zwei Fischfonds, die wie heller und dunkler Wackelpudding aussahen; Kalbs- und Rindsfonds sowie gewürfelte Butter und beurre marnie, eine Art halb gefrorene Mehlschwitze, mit der man Soßen andicken konnte. Alles wartete in acht säuberlich mit Deckeln verschlossenen Plastikbehältern auf seinen Einsatz. Nachdem Kieffer zum Schluss noch seine Vorräte an Öl, Essig, Wein und Noilly Pratüberprüft und für ausreichend befunden hatte, wandte er sich wieder dem Hauptgang zu. Der französische Engländer hatte nun lange genug pausiert.
Zunächst briet er für die Garnitur einige Pilze in Speck an. Dann holte er die casserole aus dem Ofen. Timing war jetzt wichtig. Sobald er den Bratensaft passiert hatte, würde er Johannisbeergelee, kalte Butter und zerstoßene Lebkuchen hinzufügen. Binnen weniger Sekunden würde die Soße dadurch eine sämige Konsistenz bekommen. Dann musste der Hasenpfeffer schnell auf den Tisch. Just als Kieffer zum Spitzsieb griff, klingelte das Küchentelefon. »Sag mir jetzt nicht, dass die Vier noch länger mit dem Huesenziwwi warten will. Ich bin schon bei der Soße.«
»Vergiss den Hasen. Ich … er …«
»Was ist los, Jacques? Ist er abgehauen?«
»Nein, er ist tot, Xavier.«
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3
Von seinem Platz hinter der Theke konnte Kieffer beobachten, wie zwei in weiße Overalls gekleidete Forensiker der Police Judiciaire den Riesling, die Kräuterbutter und das Besteck von Tisch Nummer vier in kleine Plastiktütchen verpackten. Sein Kellner wurde derweil von einem der Beamten befragt. Der Franzose hatte sich laut Jacques nach dem Verlassen des Lokals neben seinen vor dem Haus geparkten Wagen gestellt und dort ein etwa fünfminütiges Telefonat geführt. Danach war er wieder ins Restaurant zurückgekehrt.
Kaum hatte der Franzose die Türschwelle überschritten, war er tot zusammengebrochen. Jacques stand unter Schock. Er war gerade dabei gewesen, dem Mann aus dem Mantel zu helfen, als dieser der Länge nach vornüberkippte. Die Leiche lag noch immer im Eingangsbereich des Restaurants. In kurzen Abständen zuckten Lichtblitze durch den lang gezogenen Speiseraum – ein Polizeifotograf war gerade dabei, sämtliche Details des Tatorts zu fotografieren.
Das »Zwou Kierchen«, ein Tatort. Kieffer hätte jetzt gerne einen Obstbrand von Tasselbach getrunken oderbesser gleich zwei. Aber er hielt sich zurück. Zuerst wollte er mit dem Kommissar sprechen. Der Polizist saß seit etwa 20 Minuten mit dem aschfahlen Jacques an einem Tisch am anderen Ende des Restaurants, stellte eine Frage nach der anderen und machte sich Notizen.
Nach weiteren fünf Minuten erhob sich der Kommissar und kam auf Kieffer zu. »Didier Manderscheid, gudden Owend.« Der etwas zu kurz geratene, junge Beamte trug einen modisch schmal geschnittenen Anzug ohne Krawatte sowie ein keckes Menjou-Bärtchen und hatte seit seiner Ankunft noch nicht ein einziges Mal gelächelt. »Was können Sie mir über den Toten sagen, Monsieur Kieffer?«
»Nicht viel, Monsieur le Commissaire. Kein Stammkunde. War zum ersten Mal hier.«
Manderscheid entnahm seiner
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