Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
zweimal täglich befolgte.
Kaltenbach setzte sein Gute-Laune-Lächeln auf und grüßte zurück.
»Sali! Wie wird’s hit?«
»Nit schlecht!«
Nach dieser erschöpfenden Auskunft zum Tageswetter holte Kaltenbach die Zeitung aus dem Briefkasten. Beim Hochgehen überflog er die Schlagzeilen. Das Übliche – ein Tankerunfall vor der koreanischen Küste, ein Anschlag auf eine Botschaft in Islamabad, Parteiengezänk um Koalitionen und Steuererhöhungen. Kaltenbach fragte sich, wen dies überhaupt interessierte. Er selbst las außer dem Sport- und Kulturteil wenig, und für das Regionale hatte er die Nachbarn, vor allem Herrn Gutjahr und seine Frau. Eigentlich hätte er die Zeitung abbestellen können. Aber sie war inzwischen zur Gewohnheit geworden wie so vieles. Zu vieles.
Als er in die Küche zurückkam, war Cat Stevens inzwischen verstummt. Kaltenbach warf die Zeitung auf den Tisch und schlurfte ins Bad. Auf sechseinhalb Quadratmetern drängten sich eine Wanne, die kleine Waschmaschine, ein Waschbecken und die Duschkabine. All dies stellte in den 60er-Jahren, als Nachbar Gutjahr das Haus baute, durchaus eine Andeutung von Luxus dar. In der heutigen Zeit wirkte diese Enge altertümlich und schreckte jeden potenziellen Mieter ab, Käufer sowieso. Kaltenbach fand das beruhigend. Er war zufrieden und die Miete hielt sich in überschaubaren Grenzen.
Kaltenbach zog seinen Morgenmantel und seinen burgunderroten Schlafanzug aus, warf ihn in das Waschbecken und stellte sich unter die Dusche. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ er die ersten, noch kalten Wasserstrahlen über seine Füße laufen. Mit zunehmender Erwärmung bezog er dann Waden, Beine und Bauch mit ein, ehe er sich mit undefinierbaren Ächz- und Stöhnlauten in sein Schicksal ergab. Er hängte den Brausekopf zurück in die Wandvorrichtung, schloss die Augen und hob sein Gesicht der sanften Massage entgegen.
20 Minuten später nahm er einen letzten Schluck Kaffee und zog sich rasch an. Er verschob das Fischefüttern, fand seine Handschuhe nicht und hastete zur Bushaltestelle.
Aschermittwoch, 21. Februar, nachmittags
Als Kaltenbach von dem Toten am Kandel erfuhr, hatte er eben gerade einen Abschluss getätigt, von dem er annehmen musste, dass er ihn noch tiefer in finanzielle Nöte stürzen würde. Zumal es auf das Monatsende zuging und der Umsatz in ›Kaltenbachs Weinkeller‹ im Emmendinger Westend in den letzten Tagen nicht eben gerade gut gelaufen war. Doch solche Überlegungen waren in den Hintergrund getreten angesichts der Gelegenheit, die sich unverhofft geboten hatte. Eine 124 Exemplare starke Sammlung Vinyl-Platten aus den 50er- und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Als er vor ein paar Tagen die Annonce im ›Emmendinger Tor‹, dem örtlichen Anzeigenblatt, gelesen hatte, hatte er sich zusammenreißen müssen, um nicht laut loszujubeln. Als der Student bei seinem Anruf dann noch seine Preisvorstellung genannt hatte, war Kaltenbachs einzige Sorge gewesen, der unbedarfte Jüngling würde es sich in letzter Minute anders überlegen.
Nun war das Geschäft unter Dach und Fach. Es war kurz nach fünf, der Feierabend in Sichtweite und Kaltenbach machte sich daran, seine neuen Schätze liebevoll vor sich auszubreiten. Es war eine kleine, feine Sammlung aus der Zeit, als Vinyl das gängige Musikmedium war und die Plattencoverdesigner noch viel Raum hatten und ihren kreativen Ideen freien Lauf lassen konnten. Kaltenbach hatte seinen ersten Plattenspieler bekommen, als er 14 war, und eine nagelneue, glänzende Neil-Young-Platte mit dazu. Er hatte sie hoch und runter gehört bis er alle Melodien und Texte auswendig konnte und seine Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs standen. Dass er sich kurz darauf eine Gitarre wünschte und einige Zeit später mithilfe aller Tanten und Onkel auch bekam, war nur folgerichtig. Seither bestimmte die Musik Kaltenbachs Leben. Seine Plattensammlung nahm in seiner Malecker Wohnung inzwischen eine ganze Zimmerwand ein.
Vor ihm auf dem Tisch lagen Platten von den Everley Brothers und den Beach Boys, von den Animals und von B. B. King, dem alten Bluesmeister, allesamt Erstausgaben und wenig gespielt. Die bestens erhaltenen Stücke ließen sein Herz höher schlagen. Er saß auf der Fensterbank und bewunderte die Schwarz-Weiß-Fotografien der jungen Beatmusiker mit ihren Topffrisuren, die in den 60er-Jahren als Inbegriff der Verruchtheit und Aufsässigkeit verurteilt wurden, als hinter ihm die Glocke seiner Ladentür
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