Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
eingeschlossen.
Er tapste im Schlafanzug die Treppe hinunter. Für einen Moment ließ er sich in der offenen Tür von der morgendlichen Kühle massieren. Es war noch dunkel, und der Himmel war von jenen zarten Streifen durchzogen, die einen Märzmorgen im Breisgau ausmachten. Kaltenbach seufzte, als er die Zeitung aus dem Briefkastenschlitz zog. Der Frühling würde noch eine Weile auf sich warten lassen.
In der Küche war der Kaffee inzwischen durchgetuckert. Er füllte die Tasse zu einem Drittel mit Milch auf, nahm einen Schluck und schlug die Zeitung auf.
Luise hatte recht gehabt. Die Entdeckung des Polizeilabors nahm eine halbe Seite der Emmendinger Kreisnachrichten ein. Kaltenbach las den Artikel zwei Mal. Er trug den vielsagenden Titel ›Tierblut am Kruzifix – Neue Fragen?‹ und zeigte ein aktuelles Foto, auf dem die Spuren deutlich zu erkennen waren. Wie in der Badischen Zeitung üblich, bauschte man die Neuigkeiten nicht mit Spekulationen auf, sondern hielt sich weitgehend an die Fakten. Trotzdem konnte der Reporter nicht umhin, am Ende die Frage aufzuwerfen, ob der bedauernswerte Tod am Kandel nicht in einem anderen Licht gesehen werden müsse.
Die Folgen dieser Meldung bekam Kaltenbach zu spüren, als der erste Kunde, ein Rentner aus der Unterstadt, der den Lokalteil heute morgen scheinbar aufmerksam studiert hatte, den Laden betrat. Im Gegensatz zu dem Reporter der Badischen zügelte er seine Meinung nicht.
»Hasebluet uffm Kruzifix! Isch denne junge Litt hitt nix meh heilig? Zu minere Zitt hett d’Polizei viel härter durchgriffe, un des war nit schlecht. Un de Pfarrer hätt die Lumpeseggl ues de Kirch nuessgworfe!«
Kaltenbach beließ es bei einer beflissenen Antwort. »Was es nicht alles gibt heutzutage!« Er konnte es sich nicht erlauben, Kunden zu vergraulen. Der Rentner wurde nach weiteren, teils deftigen Kommentaren glücklicherweise von seiner Frau zum Kaffeetrinken abgeholt.
Kurz darauf kam Herbert aus der ›Lammstube‹ herüber. Er sah das Ganze pragmatisch. »Die Nationalmannschaft im Trainingslager im Elztal, der Papst in Freiburg, Hexen auf dem Kandel – ist doch gut was los bei uns, findest du nicht?«, fragte er augenzwinkernd.
»Na ja, ob das den Fremdenverkehr fördert?«, meinte Kaltenbach, der ihm half, die Sackkarre mit Sechserkartons zu beladen.
»Das vielleicht nicht. Aber die Leute haben etwas zum Reden, darauf kommt es an.«
»Was wiederum gut für deinen Umsatz ist«, grinste Kaltenbach.
Einer kleinen Sensation kam es gleich, dass Frau Kölblin sich an diesem Morgen nicht sehen ließ. Kaltenbach war sich sicher, dass sie dies spätestens am Nachmittag nachholen würde.
In der Mittagspause übermannte ihn endgültig die Müdigkeit. Er hatte in seinem Hinterzimmer eine alte Campingliege stehen und hätte sich am liebsten gleich hingelegt. Doch er widerstand der Versuchung und ging stattdessen über den Marktplatz zum Drogeriemarkt, um – wie mit Luise besprochen – von den Fotos des Hageren Abzüge machen zu lassen.
Es kostete ihn einige Fehlversuche, bei denen die Bilder zu klein, abgeschnitten oder unscharf herauskamen, ehe er endlich die Bildausschnitte in der gewünschten Größe vor sich liegen hatte.
Er warf die fehlerhaften Ausdrucke in den Papierkorb und steckte die Fotos ein, als ihm etwas einfiel. Er drückte die CD ein weiteres Mal in den Leseschacht und suchte eine Weile. Endlich fand er eine Aufnahme, die seinen Wünschen entsprach. Er wählte den Ausschnitt und eine Vergrößerung und lächelte, als er den Startknopf drückte. Luise hätte bestimmt nichts dagegen, wenn er auch einen Abzug von ihr machte.
Irgendwie brachte Kaltenbach den Nachmittag über die Runden. Es gab nur wenig Kundschaft und dadurch wenig Abwechslung. Ein paar Mal schielte Kaltenbach sehnsüchtig zu seiner Liege, doch das konnte er sich nicht erlauben. Stattdessen nutzte er die Zeit für die kleinen, ungeliebten Notwendigkeiten, um die er sich sonst außerhalb der Geschäftszeiten kümmern müsste.
Zu Anfang hatte ihm sein Onkel Josef mit einer großzügigen Starthilfe für den ›Weinkeller‹ geholfen. Nicht ganz uneigennützig, war dies doch mit der Bedingung verknüpft, die Weine seines Onkels mit zu verkaufen, der ein stattliches Weingut am Kaiserstuhl besaß. Seit vorletztem Jahr hatte Kaltenbach begonnen, das Sortiment mit einigen ausgewählten Franzosen und Italienern zu erweitern. Onkel Josef hatte dies recht skeptisch beäugt, ebenso wie die Auswahl aller
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