Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Dämmerlicht empfing ihn, als er durch die Eingangsflügeltür das Innere betrat. Er fand sich in einem weit ausladenden Treppenhaus wieder, das die zentrale Mitte des Gebäudes bildete. Von hier aus führten nach allen Seiten Türen in die verschiedenen Schauräume. Zwei großzügige Wendeltreppen führten einladend in ein zweites Stockwerk, das in der selben Weise wie im Erdgeschoss gotischen Fenstern nachempfundene Türen an den Seiten hatte. Direkt darüber schien die Frühlingssonne durch eine großzügige gläserne Überdachung, die sich über den gesamten Innenraum wölbte.
Die Herrschaften wussten zu leben, dachte er, und für einen kurzen Moment füllte sich das Interieur mit Damen in rauschenden Seidenkleidern, galanten Herren, Gläserklingen und zarter Musik.
An der Kasse legte er einen Fünfeuroschein auf den Tisch, woraufhin die Kassiererin etwas unwillig ihr Telefongespräch unterbrach und ihm eine Eintrittskarte aushändigte. »Links geht’s los mit der Steinzeit, die Römer sind in Bearbeitung, Treppe runter ist die Alemannenschatzkammer!«
Kaltenbach nahm Karte und Wechselgeld und nickte ergeben, woraufhin die Dame sich ohne weitere Verzögerung wieder ihrem Gesprächspartner zuwandte. Der Blick auf den an der Wand angebrachten Wegweiser zeigte, dass sein Ziel in der oberen Etage war.
Auf dem Treppenabsatz grüßte ihn eine Schwester der marmornen Grazie, die draußen zwischen den Primeln stand. Kaltenbach nickte ihr kurz zu, während er an ihr vorbei nach oben ging. Die ersten oberen Räume und die dort ausgestellten Exponate der ›Epoche Griechenlands‹ versetzten ihn unwillkürlich zurück in seine Schulzeit. Ihr damaliger Geschichtslehrer hatte ihn und seine Mitgymnasiasten wiederholt mit wertvollen Exkursionen geplagt, welche die immer gleichen schwarz-braunen Gefäße mit den immer gleichen nackten griechischen Helden zum Inhalt hatten. Damals hätte er die Zeit lieber sinnvoll im Park mit dem Mädchen seiner Träume verbracht.
Als er genauer hinsah, stellte er fest, dass die Henkelvasen ihrerseits in historischem Ambiente standen. Laut nicht zu übersehendem Hinweisschild befand sich nämlich in diesem holzgetäfelten Eckzimmer in der Zeit nach dem Krieg das Arbeitszimmer von Leo Wohleb, des damaligen ersten und – wie viele seiner Landsleute heute noch bedauerten – einzigen badischen Ministerpräsidenten. Die Hälfte der übrigen Räume war abgeschlossen und mit entsprechenden Pappschildern versehen, ein unübersehbarer Hinweis darauf, dass die Römer ›in Bearbeitung‹ waren.
Die Keltenabteilung war im südlichen Teil des Stockwerks untergebracht. Schon nach ein paar Minuten hatte er die wenigen Vitrinen durchgesehen. Es gab lediglich einige wenige, stark verwitterte Metallstücke, deren Bedeutung er selbst nach dem Studium der beigefügten Hinweisschilder nicht gleich erkannte.
Kaltenbach setzte sich im Fenstererker auf einen Stuhl und blätterte lustlos durch eines der überall ausliegenden Faltblätter. Dann lehnte er sich zurück und sah aus dem Fenster.
Was hatte er eigentlich erwartet? Irland, Schottland, Wales, die Bretagne – das sind und waren die Keltenländer, in denen die Überlieferung mehr oder weniger gepflegt wurde. Im deutschen Südwesten etwas über Kelten erfahren zu wollen, war offensichtlich Illusion.
Er legte das Faltblatt zurück in den Plexiglasständer. Vielleicht fand er in der Stadtbibliothek oder in einer der großen Buchhandlungen etwas, mit dem er mehr anfangen konnte.
Ehe er den Raum verließ, fiel sein Blick auf eine der Nischen des Raumes. Zwei Bodenstrahler beleuchteten einen steinernen Sockel mit eingemeißelten lateinischen Buchstaben. Der Stein war erstaunlich gut erhalten. Dennoch fragte sich Kaltenbach, warum er hier in dieser Abteilung stand. Vielleicht wollten die Museumsmacher die tristen Keltenfunde mit Anachronismen aufmöbeln.
Die Erklärung fand er auf einer Wandtafel. Der mannshohe Stein war bei Ausgrabungen in Badenweiler gefunden worden und diente einst als Sockel für eine Statue der Göttin Diana, die die Römer als Beschützerin des Waldes, der Tiere und der Jagd verehrten. In Badenweiler und in anderen Regionen des Schwarzwalds hatte sie den Beinamen ›Abnoba‹ erhalten, nach einer keltischen Göttin, die lange vor den Römern hier verehrt wurde.
Nachdenklich betrachtete Kaltenbach die nach zwei Jahrtausenden noch gut erhaltene Schrift auf dem Sockel. Er verstand kein Latein, doch die ersten beiden Worte konnte er
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