Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
doch der Tag des ersten Ganges. Wussten Sie das nicht?«
Kaltenbach murmelte etwas Unverständliches, das wie eine Erklärung klingen sollte. Sein Gegenüber fühlte sich dadurch erst recht angespornt.
»Sie sind gewiss das erste Mal hier, nehme ich an. So etwas merke ich sofort. Ich bin schon im dritten Jahr hier und werde an Ostara meine Sonnenerhebung erhalten!« Er verbeugte sich leicht. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. König mein Name. Günter König aus Offenburg. Und dies ist sicher Ihre reizende Gemahlin, nehme ich an?« Er verbeugte sich vor Luise, die amüsiert dreinschaute, und begrüßte auch sie mit einem herzhaften Händedruck.
Zum Glück musste Kaltenbach das Gespräch nicht vertiefen, denn die Gruppe begann, sich in Bewegung zu setzen. Ein kaum sichtbarer Pfad führte an der Seite des Hauses den Berg hinauf. Dorthin wandte sich jetzt Sutter mit entschlossenen Schritten, dicht gefolgt von dem Hakennasigen und einem weiteren Wächter. Der schwarze Retriever sprang schwanzwedelnd dazwischen. Die anderen reihten sich im Gänsemarsch dicht dahinter.
Die beiden Frauen, die offensichtlich den Auftrag erhalten hatten, die Nachhut zu bilden, winkten ihnen zu, aufzuschließen.
Die Aussicht auf eine Bergwanderung begeisterte Kaltenbach überhaupt nicht, zumal er in seiner Lederjacke und den Jeans jetzt schon fror. König deutete skeptisch auf seine Halbschuhe. »Mit denen werden sie nicht viel Freude haben. Es hat geschneit!«
Luise war mit ihren Stiefeln und einem dicken Mantel deutlich besser ausgerüstet. Sie stülpte sich ihre Inka-Mütze über, die Kaltenbach zum ersten Mal seit dem Kandel wieder an ihr sah. »Komm, wir dürfen nicht auffallen«, meinte sie und stapfte entschlossen hinter König her.
Der Pfad führte zunächst über einen offenen Hang schräg nach oben. Schnee, aufgetauter Matsch, Geröll und tückische Eisplatten wechselten in schöner Unregelmäßigkeit ab. Nach etwa zehn Minuten erreichten sie ein paar Krüppelkiefern, deren bizarren Stämme auf der Windseite eisverkrustet waren und wenig Schutz boten. Auf einer Bank zwischen zwei Stämmen ließ sich die Dame mit den Moonboots erschöpft nieder und war nicht zum Weitergehen zu bewegen. Ihr Begleiter nahm die Gelegenheit sichtbar erleichtert ebenfalls wahr und schüttelte den Kopf, als die Nachhut sie zum Mitkommen aufforderte.
König zuckte nur mit den Schultern. »Die beiden sind noch nicht bereit«, meinte er lapidar.
Kaltenbach verzichtete darauf nachzufragen, was er damit meinte. Er hatte genug mit seinen durchnässten Schuhen und dem Knie zu kämpfen, das wieder schmerzte. Am liebsten hätte er sich mit auf die Bank gesetzt. »Hier, kleiner Energieschub!« Luise streckte ihm eine Dose mit Kräuterpastillen entgegen.
Nach einer weiteren Viertelstunde kam die Spitze der bunten Wanderschlange zum Halten. Als sie aufgeschlossen hatten, sah Kaltenbach, dass sie auf dem Hang auf der entgegengesetzten Seite des Sutterhofs standen. Von Weitem konnte er das Sonnenbanner erkennen. Die Wolken hatten sich inzwischen etwas gelichtet. Nun sah er, dass das Haus nur wenige hundert Meter unter dem Gipfel des Belchen lag. Oberhalb gab es lediglich noch einige vereinzelte Baumgruppen und ein paar dunkelgraue Felsen, die aus dem Schnee herausragten. Die Bergkuppe war völlig kahl.
Kaltenbach konnte kaum wahrnehmen, was um ihn herum geschah. Er fror erbärmlich.
Sonntag, 11. März, nachmittags
Eine durchfrorene Stunde später konnte Kaltenbach doch noch den Sutterhof von innen sehen. Am Ziel des ›Ersten Ganges‹ hatten die Wächter eine ebenso einfache wie für Kaltenbach unverständliche Zeremonie abgehalten, die König begeistert als ›Sonnengruß‹ bezeichnete und deren Höhepunkt eine Art Wechselgesang zwischen den fünf Wächtern und den Umstehenden bildete.
Den Rückweg hatte er nur mit größter Anstrengung durchgestanden. Seine Schuhe und Strümpfe waren völlig durchnässt und der Schweiß unter seiner Jacke feucht und kalt. Der Raum, in den sie am Ende geführt wurden, war erfreulicherweise gut geheizt. Ein überdimensionaler alter Kachelofen bullerte gemütlich vor sich hin und brachte Kaltenbachs Lebensgeister zurück. Er hatte die nassen Sachen ausgezogen und über die Kacheln gehängt. Während er das Gefühl zurück in seine Füße knetete und im Wechsel kleine Schlucke heißen Tees trank, konnte er sich in Ruhe umsehen.
Die kleinen Fenster und der lehmgestampfte Fußboden erinnerten daran, dass der Raum
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