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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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»Verhalte dich so normal wie möglich. Er merkt, wenn du Angst hast.«
    Luise war sichtlich erleichtert, als der Hund die Prüfung beendet hatte. Er schnaubte kurz und machte den Weg frei. Anschließend eskortierte er die beiden bis zum großen Vorplatz des Hauses.
    Von dem rundum laufenden Balkon an der Vorderfront hing ein riesiges Banner herunter. Eine in strahlendem Weiß gehaltene Sonne mit zarten Strahlen stand leuchtend über einem goldenen Berg und erinnerte entfernt an die tibetische Fahne. Am Fuß des Berges war eine gerade Linie gestickt, an deren Seiten unregelmäßige kleine Strahlen abzweigten. Seit seinem Besuch bei Professor Oberberger wusste er, dass dies mehr war als ein nettes Ornament oder gar germanische Runen. Das war eindeutig Ogham, die Schrift der Kelten.
    Auf der freien Fläche vor dem Hof hatte sich eine Gruppe von etwa 15 Menschen um einen mannshohen Findlingsblock versammelt, der den zentralen Mittelpunkt des Platzes bildete. An der dem Tal zugewandten Seite waren merkwürdige Zeichen in den Stein eingeritzt. Im Abstand von etwa drei Metern steckten zusätzlich mehrere kleine Steine bogenförmig in der Erde. Kaltenbach vermutete eine Art Sonnenuhr. Statt Zahlen sah er jedoch nur Zeichen, die er nicht verstand.
    In diesem Moment trat Erwin Sutter zu der Gruppe und begrüßte die Anwesenden mit einem herzhaften »Guten Morgen, miteinander«. Wie auf ein Signal hin bildeten die Besucher einen Halbkreis, sodass Kaltenbach Gelegenheit hatte, das Oberhaupt der ›Wächter der Berge‹ zu betrachten.
    Zuletzt hatte er diese Art von Kleidung in einem russischen Revolutionsfilm aus den 30er-Jahren gesehen, der in drastisch-bildhafter Weise den Kontrast zwischen den reichen Gutsherren und den erbarmungswürdigen, aber stolzen Leibeigenen darstellte. Der Mann hatte einen gewaltigen Vollbart und war vom Alter her schwer zu schätzen. Er trug eine dicke braune Wollpluderhose, die in ein Paar kräftige schwarze Schaftstiefel mündete. Über seinem weiten dunkelblauen Hemd hatte er einen handbreiten Stoffgürtel geschlungen, an dem ein Hirschfänger in einer Ledertasche steckte. Über dem Hemd trug Sutter eine Kombination aus Mantel und Umhang, dessen Schulterpartie mit einem grauem Fell besetzt war. Auf dem Kopf saß ein grau-grüner Filzhut mit breiter Krempe, unter der lange Haare hervorlugten.
    Kurz hinter Sutter tauchten vier weitere Gestalten auf, allesamt genauso gekleidet.
    »Da ist er«, flüsterte Luise.
    Auch Kaltenbach erkannte das markante Profil des Hageren sofort. Mit demselben durchdringenden Blick wie auf dem Friedhof musterte er jetzt schweigend die Anwesenden.
    Die vier stellten sich an Sutters Seite auf. Erst jetzt sah Kaltenbach, dass zwei von ihnen Frauen waren.
    »Der Schinderhannes und seine Bande«, raunte für alle deutlich vernehmbar ein sportlicher Enddreißiger an Kaltenbachs Seite. Seine Begleiterin, wie er in modischer Skijacke und mit 80er-Jahre Retro-Moonboots an den Füßen, kicherte. Die beiden ernteten böse Blicke von den Umstehenden, die den launigen Kommentar keineswegs witzig fanden.
    Im nächsten Augenblick hoben die fünf Wächter auf ein unhörbares Zeichen hin ihre Stöcke, stießen sie dreimal senkrecht Richtung Himmel und bekräftigten ihre Geste mit kurzen, rhythmischen Lauten. Zu Kaltenbachs Überraschung antworteten die meisten der Umstehenden auf dieselbe Weise. Gleich darauf begann Sutter mit einer Begrüßungsrede. Es war eine Mischung aus verschiedenen Sprachen und Fachausdrücken, die wild durcheinander gewürfelt daherkamen, und die offenbar alle etwas mit Sonne, Bergen und Göttern zu tun hatten. Zudem bediente sich Sutter ohne Rücksicht auf Nicht-Schwarzwälder des breitesten Hochalemannisch, in dem es von krachenden Kehllauten wimmelte.
    Kaltenbach musste sich eingestehen, dass er kaum die Hälfte verstand. Die übrigen ›Wächter‹ standen währenddessen unbewegt auf ihre Stöcke gelehnt und starrten geistesabwesend vor sich hin.
    Am Ende klatschten die Zuhörer begeistert. Kaltenbach kam sich ziemlich deplatziert vor. Anscheinend waren er und Luise zusammen mit dem modisch gekleideten Paar die Einzigen, die bisher noch nie hier gewesen waren.
    »Gehen wir jetzt hinein?«, fragte er einen zünftig ausgerüsteten, untersetzten Herrn neben sich, dem man den früh verruhestandeten Oberstudienrat von Weitem ansah.
    Der Mann sah ihn erstaunt an. »Hinein? Ins Haus meinen Sie? Aber natürlich nicht!« Er schüttelte heftig den Kopf. »Heute ist

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