Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
begehen.
»Komm, wir machen noch eins. Etwas leichtes zum Ausklang.«
Fünf Stunden, in denen er nicht an den Mord gedacht hatte.
»He, schon müde?«
Die immer gleichen Gründe. Hass, Rache, Eifersucht, Gier. Archaische Motive aus dem Wohnzimmer der menschlichen Seele. Enttäuschung, Angst. Was kann ein Grund sein, einen jungen, freundlichen Mann zu töten?
Die sanften grünen Hügel verwandelten sich in steile, gezackte Felsen. Grau, abweisend.
Warum an diesem Ort? In jener Nacht? Gab es einen ausgeklügelten Plan, lange vorbereitet? Gab es ein Geheimnis um Luises Bruder, von dem niemand wusste?
»Wir spielen in D. Und gleich ordentliches Tempo!«
Um ein Haar hätte Kaltenbach den Einsatz verpasst. Und wenn es nun doch ein Unfall war? Wenn er in einer gewaltigen Sackgasse steckte?
»Dance, dance, wherever you may be … «
Wenn es dir gut geht, tanze.
Wenn es dir schlecht geht auch.
Sonntag, 11. März
In den letzten Tagen hatte sich Kaltenbach innerlich auf den Frühling vorbereitet. Am Ende der Fasnetszeit genoss er es, am Morgen mit Vogelgezwitscher geweckt zu werden und am Tag den Knospen der Zierkirschen beim Aufspringen zuzusehen. Doch in der vergangenen Stunde hatte er erleben müssen, dass Frau Kölblin recht gehabt hatte. Der Winter war zurückgekehrt.
»Im Schwarzwald kannst du immer mehrere Jahreszeiten gleichzeitig erleben«, meinte Kaltenbach.
Luise hatte sich auf dem Beifahrersitz zurückgelehnt und beobachtete schweigend die vorüberziehende Landschaft des Südschwarzwaldes. Seit der Passhöhe bei Hinterheubronn ging es beständig abwärts an einigen kleinen Höfen vorbei. Hinter dem Wald lag von der Straße aus nicht sichtbar der Nonnenmattweiher, ein viel bewundertes Überbleibsel aus der Eiszeit.
Die Landstraße wand sich jetzt in einem Bogen um einen Berg durch ein kleines Waldstück, an dessen Ende die ersten Häuser von Neuenweg auftauchten. Kaltenbach kannte das Dorf gut. Hier war oft der Ausgangspunkt von Wanderungen auf den Belchen gewesen. Der Ort lag am oberen Ende des kleinen Wiesentals, das von Schopfheim heraufkam und hier in die steil ansteigenden Hänge des Belchen überging. Die kahle Kuppe des Berges schimmerte in grauem Weiß.
»Jetzt müssen wir nur noch den Sutterhof finden«, meinte Luise, als Kaltenbach den Wagen auf einen kleinen Parkplatz in der Dorfmitte lenkte. Direkt daneben stand einer der typischen Schwarzwälder Röhrenbrunnen, dessen Trog aus einem geschälten Baumstamm geschnitzt war. Das Wasser war abgestellt. Auf der anderen Seite gab es eine große Übersichtstafel, auf der liebevoll eine Panoramakarte des Ortes mit den umliegenden Bergen und Wanderwegen gemalt war.
Aus der Karte war nichts herauszulesen. Dabei hatte Grafmüller versprochen, dass der Hof leicht zu finden sei. Kaltenbach und Luise liefen ein paar Schritte die Hauptstraße entlang. Der Ort war wie ausgestorben. Lediglich zwei dick eingemummte Zehnjährige machten sich einen Spaß daraus, Schneebälle unter die wenigen vorbeifahrenden Autos zu werfen und sie von den Reifen zerquetschen zu lassen. Die beiden rannten davon, als Kaltenbach und Luise näherkamen. An einem stattlichen Hof direkt an der Straße standen im Gegensatz zu den anderen Höfen die oberen Schwingtüren der Ställe weit offen. Ein würziger Duft nach Heu breitete sich aus. Kaltenbach warf einen Blick hinein und sah einen sauberen, hellen Stall, in dem vier braun-weiß gefleckte Kühe zufrieden vor sich hin kauten. Ein etwa 15-jähriges Mädchen lenkte eine Schubkarre zwischen die Stallboxen. Sie hatte die Haare unter einem dunkelblauen Kopftuch zusammengebunden und trug einen dicken, handgestrickten Pullover, Jeans und olivfarbene Gummistiefel. Die Karre war mit Stroh beladen.
»Hallo. Weißt du, wo der Hof von Erwin Sutter ist?«
Das Mädchen lächelte scheu und gab keine Antwort. Stattdessen begann sie, mit einer Heugabel das Stroh zu verteilen.
Kaltenbach versuchte es noch einmal. »Sutter. Sein Hof muss irgendwo am Ortsausgang sein.« Das war der einzige Hinweis, den er von Grafmüller erhalten hatte. Neuenweg sei klein, da brauchte man keine genauere Beschreibung.
»Geben Sie sich keine Mühe. Maria spricht nicht mit Fremden.« Eine etwa 40-jährige Frau erschien aus dem Dunkel des Stalls. Sie trug einen geflochtenen Weidenkorb, der halb mit groben Holzscheiten gefüllt war. Sie stellte ihn ab und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. Es war deutlich wärmer im Stall als draußen.
»Ich hab es
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