Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
in der ich mich damals bewegte.« Sie knipste das Licht wieder aus. »Vielleicht wollte Hajo mich so sehen.
« Sie zupfte Kaltenbach am Ärmel und deutete auf die Eingangstür. »Komm, wir laufen ein paar Schritte. Es ist noch hell draußen.«
Er half ihr in den Mantel und zog dann seine Lederjacke an.
»Das Plakat ist das Einzige hier, was noch daran erinnert. Eine kleine nostalgische Schwäche. Der Rest liegt zu Hause im Keller.« Sie schlang sich einen meterlangen, türkisfarbenen Schal um den Hals und stülpte sich eine Schiebermütze über die blonden Haare. »Ich sollte es wegwerfen«, sagte sie.
Es war gegen halb sieben, als sie hinaus auf die schmale Gasse traten. Luise hatte weder ein Schaufenster noch ein Hinweisschild. Einzig ihr Name stand neben der Klingel. Nicht verwunderlich, dass er das Atelier beim ersten Mal nicht gefunden hatte.
»Vielleicht hast du recht«, meinte Luise, während sie die Tür abschloss. »Es fällt mir schwer, mich von diesen Stücken zu trennen. Es steckt noch zu viel Persönliches drin.«
Die Sonne hatte sich bereits hinter die Dächer der Altstadt verkrochen. Kaltenbach spürte den kühlen Hauch vom Gewerbekanal. Sie überquerten den Steg und liefen durch die Gerberau und über den Augustinerplatz Richtung Münster. Es war wenig los in der Stadt an diesem Montagabend. Die Touristen hatten ihr Tagespensum an Besichtigungen und Rundgängen hinter sich gebracht und aßen zu Abend bei der viel gerühmten Badischen Küche. Vom täglichen Markt um das Münster herum war um diese Zeit nichts mehr zu sehen. Zwei städtische Arbeiter spritzen mit einem Schlauch die Überbleibsel des Vormittags von dem Kopfsteinpflaster. Am letzten der ansonsten zahlreichen Bratwurststände traf die Verkäuferin ihre Vorbereitungen zum Feierabend.
»Krieg ich noch eine?«, fragte Kaltenbach die rotbackige Frau, der man die Spuren eines langen Arbeitstages ansah.
»Weil du’s bisch. Isch aber nimmi d’ bescht. Zwiewele sind alle.«
»Schon recht.«
Luise lehnte am Marienbrunnen, in dessen Trog um diese Jahreszeit kein Wasser eingelassen war. »Ist dir schon mal aufgefallen, wie viele Wasserspeier das Münster hat?«
Kaltenbach legte den Kopf in den Nacken. Sein Blick kletterte den seit Jahren eingerüsteten Glockenturm nach oben. »Wasserspeier?«
»Ja, die Figuren, durch die das Regenwasser nach außen abfließt. Sie sind überall.«
Kaltenbach hatte das Münster immer mit einer seltsamen Mischung aus Ehrfurcht und Respekt betrachtet. Es fiel ihm heute noch schwer zu glauben, dass das filigrane, zum Himmel strebende Bauwerk im Mittelalter erdacht und erbaut wurde. Um kunsthistorische Einzelheiten hatte er sich jedoch nie gekümmert. Als junger Student war er mit ein paar anderen die steile Wendeltreppe ins Obere des Turms hinaufgestiegen. Die riesigen Münsterglocken hingen dort zum Greifen nah an mächtigen, grob behauenen Holzbalken. Der Schädel hatte ihm gedröhnt, als das archaische Räderwerk zur Mittagszeit geläutet hatte. »Die meisten Wasserspeier stellen Hunde, Katzen, Vögel dar, aber auch Fabeltiere, zum Beispiel Drachen, Kobolde, Gnome und andere kleine Teufelchen.«
»Teufel? An einer Kirche?«
»Zur Abschreckung. Kein böser Gedanke, kein übel wollender Geist sollte dem Haus Gottes zu nahe kommen und ihm schaden. Für die Menschen damals waren die Geister völlig real, vor allem die bösen. Und sie hatten ständig Angst vor ihnen.«
»Und da setzt man sie sich aufs Dach?«
»Wenn das Böse seinesgleichen erblickt, wird es wehrlos und verliert seine Macht. Wer sich im Spiegel sieht, wird auf sich selbst zurückgeworfen und kann keinem anderen mehr schaden. Seelische Homöopathie sozusagen.«
Gar nicht dumm, dachte Kaltenbach. Er kannte einige Leute, denen er gerne mal den Spiegel vorhalten würde.
Sie liefen weiter zur Kaiser-Joseph-Straße, der ›Kajo‹, wie die Freiburger ihre Einkaufsrennstrecke nannten. Wie in Emmendingen waren um diese Jahreszeit auch hier die Bächle nicht geflutet.
Wer ins Bächlewasser trat, würde eine Freiburgerin heiraten. Kaltenbach wusste nicht, warum er ausgerechnet jetzt an diesen Spruch dachte, den regelmäßig Touristen und offizielle Besucher zu hören bekamen. Am verlegensten kicherten die Japanerinnen. Luise kam nicht aus Freiburg.
»Was machen wir jetzt?«
»Wir könnten die Rathausgasse runter und … «
»Nein, ich meine, wie soll es weitergehen? Jetzt wo wir wissen, dass Peters Mörder einer der ›Wächter‹ ist?« Sie
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