Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
der Gedanke an Frau Kölblin bereitete ihm Bauchweh. Doch sie würde auch ohne ihn genügend Gesprächsstoff für die nächsten Tage haben.
Er duschte, zog sich an und lüftete das Schlafzimmer. Draußen windete es immer noch. Vom Kaiserstuhl zog eine dunkle Wolkenwand herüber. Die ersten Frühlingsgewitter kündigten sich an. Er ließ gerade seinen zweiten Kaffee aus der DeLonghi laufen, als das Telefon läutete. Zu seiner Überraschung war Luise am Apparat.
»Ist dir etwas passiert?«, fragte sie, noch ehe er zu einer Begrüßung ansetzen konnte. Er beruhigte sie und erzählte mit knappen Worten von seinem Besuch in Waldkirch. Luise fragte immer wieder dazwischen, doch am Ende war sie merkwürdig still. Auch Kaltenbach sagte für einen Moment nichts. Es wurde ihm klar, dass das Geschehen eine neue Dimension erreicht hatte. Und dass es von jetzt an auch für sie gefährlich werden konnte.
»Wir müssen uns sehen. Unbedingt.«
Luise sprach aus, was Kaltenbach dachte.
»Jetzt gleich?«
»Ich kann leider erst heute Abend. Wir könnten zusammen etwas essen«, schlug sie vor.
»Gute Idee. Ich werde für uns etwas kochen. Um acht Uhr bei mir?«
»Ich freue mich.«
Er blieb noch ein paar Augenblicke mit dem Hörer in der Hand stehen. Ihre Stimme klang in seinem Inneren nach. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er sie vermisste. Nicht nur ihre Stimme.
Für heute hatte er sich Einiges vorgenommen. Als Erstes suchte er im Telefonbuch die Nummer des Colombi-Museums in Freiburg heraus. Schon nach dem zweiten Läuten begrüßte ihn die Stimme der Dame am Kartenschalter. Wie er gehofft hatte, war Geiger auch an diesem Morgen wieder vor Ort. Er fragte sich, ob sein Interesse für Frühgeschichte der einzige Grund war, der ihn regelmäßig in das Museum trieb.
Geiger erinnerte sich sofort an Kaltenbach. Er war sichtlich erfreut über sein Anliegen und lud ihn ein, ihn in seinem Haus in Günterstal zu besuchen. Kaltenbach spürte, wie sich eine neue Zuversicht in ihm breit machte. Geiger würde ihm sicher helfen können, die Bedeutung der einzelnen Puzzleteile besser zu verstehen. Er ahnte, dass sich das Bild schon bald deutlicher zusammenfügen würde.
Eine freundliche Verkäuferin begrüßte Kaltenbach in der Buchhandlung in der Stadt, als er gegen zehn Uhr den Laden betrat. Die Dame, die etwa in seinem Alter war, zeigte sich wenig überrascht, als Kaltenbach ihr die Eckfetzen der Karte aus Oberbergers Erkerzimmer vorlegte.
»Ja, die Enkelkinder. Wissen manchmal nicht wohin mit ihrer Kraft. Lassen Sie mal sehen, das werden wir gleich haben!«
Kaltenbach kratzte sich am Kopf, als er der Dame in den hinteren Bereich des Ladens folgte. Enkelkinder? Was meinte sie damit? Erschrocken wurde ihm deutlich, dass bei einem Mann in den besten Jahren die Möglichkeiten eben nach allen Seiten offenstanden.
»Es ist auf jeden Fall eine Michelin-Karte. Sehen Sie hier oben das kleine Zeichen?« Die Frau deutete auf ein winziges Logo auf einem der Papierstücke. Dann zog sie eine große Lade aus einem der Schränke.
»Wissen Sie noch, von welcher Gegend die Karte war?«
»Schwarzwald, Kaiserstuhl, Rhein. Eventuell Schweiz und Elsass.«
Die Dame nickte und blätterte die Reihe rasch durch. Nach wenigen Augenblicken hatte sie gefunden, was sie suchte. Sie zog die Karte heraus und faltete sie auf dem daneben stehenden Lesepult aus.
»Michelinkarte Oberrhein. Bitte schön, die aktuellste Ausgabe. Seit vier Jahren unverändert.«
Kaltenbach hielt die beiden Reststücke an die Ecken und verglich. Die Frau hatte recht. »Prima, vielen Dank, sie haben mir sehr geholfen. Ich nehme die Karte gleich mit.« Er bezahlte und bedankte sich noch einmal.
Die Verkäuferin verabschiedete ihn mit einem Lächeln. »Keine Ursache. Und dieses Mal besser aufpassen«, nickte sie ihm verständnisvoll zu.
Im Schreibwarengeschäft gegenüber kaufte er einen Grafitstift, ein Lineal und eine Rolle Transparentpapier. Wenn seine Vermutung richtig war, würde er mithilfe dieser Utensilien dem Papier seine Geheimnisse entlocken können.
Die Zutaten für das Abendessen zu finden, war deutlich schwieriger. Erst nach zwei vergeblichen Versuchen fand er, was er suchte. Mariniertes Zanderfilet auf einem Fenchel-Mango-Reis-Bett war eine seiner Lieblingskreationen. Dazu würde es einen feinen Nachtisch geben, alles Köstlichkeiten, die er sich zeitlich und finanziell nicht oft leisten konnte.
Es war nach zwölf Uhr, als er den Laden aufschloss. Als Erstes
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