Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
zuweilen etwas ruppig, vor allem für Außenstehende. Doch wenn es darauf ankam, half man sich, so gut es ging. Warum das diesjährige Rebenbinden ausgerechnet heute an diesem feuchtkühlen Mittwoch beginnen musste, wusste außer Onkel Josef niemand. Es wäre sinnlos gewesen zu fragen. Schließlich gehörte die Wahl des richtigen Zeitpunkts, der sich aus Wetterlage, Tradition, Sachverstand und Bauchgefühl des Bauern zusammensetzte, zu den Kniffen, Tricks und Geheimrezepten, die jeder Winzer eifersüchtig hütete. Und da von den eingeplanten Saisonarbeitern erst wenige eingetroffen waren, mussten Verwandte und Freunde einspringen. Wenn Onkel Josef rief, duldete er keinen Widerspruch.
Dafür ließ er sich aber auch nicht lumpen, in der Mittagspause ein ordentliches Vesper aufzufahren.
Kaltenbach setzte sich zu Hannah, einer von unzähligen Arbeitsstunden in den Hügeln des Kaiserstuhls gezeichneten Frau mit kräftigen Armen und rundem Gesicht, das neugierig unter einem blau-weiß gefleckten Kopftuch hervorlugte. Einige Freunde und Helfer aus dem Dorf saßen in unmittelbarer Nachbarschaft. Die wenigen Saisonarbeiter hatten sich am Ende des Tisches zusammengesetzt, wo das Holzdach kaum mehr Schutz gegen den anhaltenden Nieselregen bot. Der kühle Märzmorgen war in einen ebensolchen Tag übergegangen. Kaltenbach rieb die Hände aneinander und knetete die Finger. Hannah hatte bereits eine dicke Scheibe Brot von einem Laib abgeschnitten und steckte sie nun abwechselnd mit dem Käse Stück für Stück in ihren Mund. Franz, ihr Mann, ein hagerer, lang aufgeschossener Endvierziger, der seit Jahren als Kellermeister arbeitete, schenkte zuerst Lothar, dann Hannah und sich selbst die Gläser voll.
»Aber nur eines«, wehrte Kaltenbach halbherzig ab. »Ich muss noch zurückfahren.«
Franz nickte und hob sein Glas. »Proscht erscht emol!«
Die drei stießen miteinander an. Der einfache Fasswein erfrischte Kaltenbach trotz des kalten Wetters.
»Wie wird der Jahrgang?«, fragte er pflichtschuldigst nach einem weiteren Schluck.
Franz wiegte den Kopf. »Mol sehne«, war die lapidare Antwort, die er genauso gut von jedem anderen Weinbauern am Kaiserstuhl und im übrigen Südbaden bekommen hätte. Die lobenden Töne überließen sie lieber Kunden und Kritikern. »Und wie goht’s eso z’Ämmedinge?«
Ehe Kaltenbach antworten konnte, wurde er von Hannah unterbrochen. »Ist ja schon was los bei euch in der Stadt. Ich hab in der Badischen gelesen, es hat schon wieder einen Toten gegeben!«
Kaltenbachs Zeitung steckte noch im Briefkasten in Maleck. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Mord an Oberberger heute schon in der Presse stand. »Ja, schlimm«, sagte er und hoffte inständig, dass nichts über ihn zu lesen war.
»Die henn selle Kerli uff frischer Tat ertappt«, fuhr Franz dazwischen. »Den sott ma glich … «
»Wenn er’s war«, hörte Kaltenbach eine Stimme, die von dem Platz neben Hannah kam.
»Jo, der Herr Lehrer weiß es widder emol am beschte. Derbi henn die den Kerli direkt nebe dere Lich gfunde. Dodgschlage hätt er’n! Mit eme Krüz! En Professor!«
Der Angesprochene, ein etwa 50-jähriger rundlicher Mann mit Schnauzbart und roten Backen, ließ sich nicht einschüchtern. »Nicht so voreilig, Franz. Es ist nicht immer so, wie es aussieht. Außerdem haben sie den geklauten Schmuck nicht bei ihm gefunden.«
»Ich sage euch, das waren die Wackes-Zigeuner aus Straßburg!« Ein junger Mann in einem alten olivfarbenen Anorak, unter dem ein dunkelblauer Trainingsanzug hervorschaute, hatte seine eigene Erklärung. »Man liest doch ständig von denen. Überall Einbrüche, seit Jahren. Und dann müssen sie sie wieder laufen lassen, weil die Kerle noch keine 14 sind. Sagen sie. Eine Schande ist das.«
»Des sin alles Spitzbuebe!«, bekräftigte Franz. »Wenn i ebbis zum sage hätt … «
Der Disput der drei Männer ging noch eine Weile hin und her, und wechselte dann unvermittelt auf den neuen Überraschungsstürmer des SC Freiburg.
Kaltenbach war erleichtert. Ganz offensichtlich hatte die Polizei seinen Namen nicht öffentlich gemacht. Am gestrigen Abend hatten sich die beiden sichtlich überforderten Waldkircher Ortspolizisten darauf konzentriert, Kaltenbach nicht aus den Augen zu lassen. Sie waren sichtlich erleichtert, als nach weiteren 20 Minuten ein Kommissar und sein Gehilfe von der Emmendinger Kripo eintrafen. Der Ermittler übernahm sofort die Initiative. Ein paar aufmerksame Blicke genügten, um die
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