Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Kaltenbach seinen Ausweis vorlegte, holte er aus dem Hinterzimmer einen Ordner, suchte das Gesprächsprotokoll heraus und ließ ihn das Papier unterschreiben. Kaltenbach sparte sich die Mühe, die drei Seiten gegenzulesen.
»Nicht vergessen: Sie müssen erreichbar sein!«, rief ihm der Uniformierte hinterher, als Kaltenbach bereits wieder unter der Tür stand.
Zu Hause schlug sein Herz für einen Moment höher, als er im Flur das Lämpchen des Anrufbeantworters blinken sah. Doch der Anrufer hatte keine Nachricht hinterlassen. Oder die Anruferin?
Die heiße Dusche tat ihm gut, und als er im Bademantel in die Küche stapfte, war sein Unmut über den Überfall seines Onkels fast wieder verflogen. Er stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd und holte eine Packung Lachstortellini aus dem Schrank. Während das Wasser heiß wurde, setzte er sich an den Tisch und schlug die Zeitung auf. Es stand nicht mehr da, als er heute morgen von Hannah und den anderen bereits erfahren hatte. Das würde morgen bestimmt anders sein. Vielleicht war die Meldung in der Freiburger Ausgabe noch gar nicht erschienen, und Luise wusste noch von nichts. Somit gäbe es aus ihrer Sicht auch keinen Grund, ihn anzurufen.
Kaltenbach warf die Tortellini in das sprudelnde Wasser und schaltete eine Stufe zurück. Er ging zum Telefon und wählte zweimal vergebens ihre Nummer. Dann eben doch morgen, dachte er. Und wenn er hinfahren und vor ihrer Tür warten würde. Sie mussten dringend miteinander reden.
Während er am Herd eine Gorgonzola-Soße anrührte, kehrten seine Gedanken zurück zu gestern Abend. Der Mörder musste gewusst haben, was es bei Oberberger zu holen gab. Es musste jemand sein, dem der Torques so wichtig war, dass er dafür einen Mord begehen würde.
Elsässer Diebesbanden! Kaltenbach schüttelte den Kopf. Die jungen Ganoven waren bisher fast nie gewalttätig geworden. Und welchen Wert sollte für sie eine vollgezeichnete Landkarte vom Oberrhein haben?
Donnerstag, 15. März
Nach der ungewohnten körperlichen Anstrengung schlief Kaltenbach in der Nacht tief und traumlos. Gegen Morgen frischte der Wind auf. Irgendwo im Haus klapperte ein halb geschlossener Fensterladen. Kaltenbach glitt in einen unangenehmen Halbschlaf, an dessen Ende er sich in einem graugrünen Meer schwimmend fand, auf dessen Schaumkronen unzählige Rebstöcke tanzten. In Sichtweite erkannte er ein zweites Boot, in dem eine Frau saß, die ihm zuwinkte. Er versuchte sie einzuholen, doch wie von einem unsichtbaren Gummiband wurde er festgehalten. Auf und ab schaukelten die Rebstöcke, das Winken wurde kleiner und kleiner …
Gegen sechs Uhr hielt er es nicht mehr aus. Endlich stand er auf, kochte Kaffee und holte die Zeitung. Wie er es vermutet hatte, hatte es Oberberger auf die Titelseite geschafft. ›Mord in Waldkirch!‹ sprang ihm die fette Überschrift entgegen. Gleich darüber Fotos vom Haus und dem Arbeitszimmer des Toten.
Kaltenbach trank Kaffee und überflog rasch den Artikel, der sich im Landes- und Lokalteil fortsetzte. Nach den ersten Ermittlungen der Emmendinger Kripo war der Professor durch einen Schlag auf den Kopf niedergestreckt worden und offenbar sofort tot. Als Tatwaffe wurde Kaltenbachs Vermutung bestätigt, das Metallkreuz wurde inzwischen in Freiburg auf Spuren untersucht.
Er hielt einen Moment beim Lesen inne. Es würde ihn entlasten, wenn die Polizei Fingerabdrücke sichern könnte. Soweit er sich erinnerte, hatte er das Kreuz nicht angefasst.
Ausführlich wurde auf den Diebstahl aus der Vitrine im Erdgeschoss eingegangen. Ein Archivbild eines ähnlichen Torques war mit detaillierter Beschreibung daneben abgebildet. Im Lokalteil des Blattes wurde der Bericht mit ähnlichen Worten wiederholt, lediglich erweitert mit Aussagen von Nachbarn, die den Toten als stets höflichen und netten jungen Mann beschrieben, der immer freundlich grüßte und im Sommer seinen Garten vernachlässigte. Am Ende waren weitere Fotos aus dem Inneren des Haus und ein älteres Passbild Oberbergers abgedruckt.
Kaltenbach faltete erleichtert die Zeitung zusammen. In dem Bericht wurde er als ›Besucher, der den Toten gefunden hatte‹ beschrieben, ohne einen weiteren Verdacht daraus abzuleiten. Weder sein Name noch ein Bild von ihm tauchten in den Artikeln auf. Offenbar wollte ihn der Kommissar bewusst heraushalten, um keine Spekulationen aufkommen zu lassen. Er war froh, dass er nicht in der Öffentlichkeit mit dem Mord in Verbindung gebracht wurde. Allein
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