Teufelsleib
die Ärzte die lebenserhaltenden Geräte abschalteten. Viermal waren Stichwerkzeuge eingesetzt worden, einmal war stumpfe Gewalt im Spiel, in einem Fall war ein angetrunkener und höchst aggressiver Mann, der bereits aktenkundig war, nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seiner Lebensgefährtin unglücklich mit dem Hinterkopf gegen eine metallene Tischkante gestoßen und kurz darauf verstorben, nur einmal war eine Schusswaffe benutzt worden. Fünf der Opfer waren Frauen.
Einen aufsehenerregenden Fall hatte es gegeben, der keinen kaltließ: der Tod eines zweijährigen Mädchens, das verhungert und verdurstet und total eingedreckt in seinem Bett gefunden worden war. Ein Fall, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte, aber schon bald in Vergessenheit geriet, weil derartige Tötungsdelikte sich häuften und schon fast zur Normalität gehörten. Ein kurzer, entsetzter Aufschrei der Medien und der Öffentlichkeit, der schnell verstummte.
Die Aufklärungsquote hätte bei hundert Prozent gelegen, gäbe es da nicht noch etwas anderes, was ihm nach wie vor Kopfzerbrechen bereitete, und weder er noch seine Kollegen wussten, in welche Richtung sie weiter ermitteln konnten.
Es ging um zwei höchst mysteriöse Frauenmorde. Begangen im letzten Jahr, einer vermutlich in Rumpenheim und einer in Bürgel, zwei aneinandergrenzende Stadtteile. Zwei Morde, die noch nicht einmal ansatzweise gelöst waren, da es nicht die geringsten Anhaltspunkte bezüglich der Motive oder gar in Richtung eines oder mehrerer Täter gab. Alle Ermittlungen waren im Sande verlaufen. Sämtliche Personen aus dem engeren und weiteren Umfeld der beiden Frauen waren zum Teil mehrfach befragt worden, doch keiner der Befragten verwickelte sich in Widersprüche, und jeder konnte ein wasserdichtes Alibi vorweisen. Zwei Morde, die womöglich niemals geklärt werden würden. Zwei Morde, zu denen vielleicht noch weitere hinzukommen würden, das sagte Brandts Bauchgefühl, und sein Bauch hatte ihn in der Vergangenheit selten im Stich gelassen. Wobei er hoffte, wenigstens diesmal unrecht zu behalten. Und doch sprach nicht nur sein Instinkt dafür: Denn bei beiden Morden handelte es sich allen bisherigen Erkenntnissen nach nicht um Beziehungstaten. Keine der beiden Frauen war, so die einhellige Meinung, im Affekt ermordet worden, sondern aus einem anderen Beweggrund: Trieb. Alle Ermittler waren sich einig, dass sie es mit einem oder zwei Triebtätern zu tun hatten, wobei Brandt der festen Überzeugung war, dass es sich um ein und denselben Täter handelte, auch wenn die Vorgehensweisen so unterschiedlich wie Tag und Nacht waren.
Die erste Tote, Anika Zeidler, war am Sonntag, dem 8. März 2009, gegen 15.30 Uhr in der Nähe der Rumpenheimer Fähre gefunden worden. Ihre Eltern hatten sie drei Tage zuvor als vermisst gemeldet, weil sie sie zuletzt am späten Nachmittag des 3. März gesehen und seitdem nichts mehr von ihr gehört hatten, was nicht ihre Art war, wie sie glaubhaft versicherten. Kein Anruf, kein Besuch. Bei Anrufen auf ihrem Handy sprang nur die Mailbox an.
Für die Polizei zunächst ein Routinefall, stammte Anika Zeidler (wie auch der elfjährige Vergewaltiger) ursprünglich doch aus einem Viertel, dem ein eher negativer Ruf anhaftete, wo die Kriminalitätsrate über dem Offenbacher Durchschnitt lag und die Arbeitslosenquote ebenfalls recht hoch war. Es kam nicht selten vor, dass junge Menschen sich von dort einfach auf und davon machten. Normalerweise aber blieben sie nicht lange weg, meldeten sich schon kurze Zeit später bei der Familie oder bei Freunden oder wurden von der Polizei aufgespürt.
Allerdings lebte Anika Zeidler schon seit fast drei Jahren nicht mehr zu Hause, sondern in einer kleinen Wohnung in Neu-Isenburg, wo sie in einem Callcenter arbeitete, wie ihre Eltern berichteten. Diese waren ebenso wie Anikas Bruder mehrfach zu ihrer Wohnung gefahren, doch sooft sie auch geklingelt hatten, niemand öffnete die Tür. Schließlich informierten sie die Polizei.
Die Wohnung wurde von der Polizei geöffnet und durchsucht, es fand sich jedoch kein Hinweis, wo sich Anika aufhalten könnte. Am 7. März wurde eine Handyortung durchgeführt – ohne Erfolg. Deshalb ging man davon aus, dass das Handy ausgeschaltet war. Daraufhin wurde seitens der Staatsanwaltschaft und der Mordkommission beschlossen, am 9. März, einem Montag, Suchmeldungen in Presse und Funk zu veröffentlichen, wozu es jedoch nicht mehr kommen sollte. Denn am Nachmittag des 8. März,
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