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Teufelsmond

Teufelsmond

Titel: Teufelsmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Luft? Gut möglich, dass es bald Schnee geben wird.»
    «Schnee? Im November?»
    Karla zuckte mit den Achseln. «Es ist doch fast schon Dezember. Außerdem ist das nicht ungewöhnlich. Erinnert Ihr Euch an den warmen Tag vor gut zwei Wochen? Es war zehn Tage nach Allerseelen, der 12 . November. Am 11 . November ist der Martinstag. Und wenn es um diese Zeit noch einmal richtig warm wird, so nennt man das einen Martinssommer. Den gibt es nur selten. Nur ein- oder zweimal in einem Menschenleben. Ich habe gehört, wie sich der Vater mit der Stiefmutter darüber unterhalten hat. Ein Martinssommer kündigt nämlich einen bitteren und langen Winter an. Und viel Schnee.»
    Pater Fürchtegott schüttelte den Kopf. «Was du alles weißt!»
    «Es riecht nach Schnee. Seht Ihr, wie sich die Baumwipfel biegen? Es kann Sturm geben. Wir müssen sehen, dass wir zuvor noch das nächste Dorf erreichen.»
    Pater Fürchtegott erhob sich mühevoll. Die Kälte der letzten Nächte war ihm in die Knochen gekrochen. Sein Rücken schmerzte bei jeder Bewegung, die Hüften schienen eingerostet, und auch die Knie konnte er kaum bewegen. Es gab nichts, wonach er sich mehr sehnte, als nach einem Bett mit einem heißen Stein drinnen.
    Stöhnend erhob er sich, presste eine Hand in sein wehes Kreuz und sah zu Karla, die mit roten Wangen und blitzenden Augen vor ihm stand. «Es ist nicht sehr weit bis zur nächsten Behausung», erklärte sie und deutete mit dem Finger in die Ferne. «Seht! Ich kann den Rauch erkennen. Dort müssen Häuser sein.»
    Pater Fürchtegott seufzte gottserbärmlich. Er hatte es satt, durch die kalten grauen Wälder zu stolpern und nach den Nachzehrern zu suchen wie nach der Nadel im Heuhaufen. Er wusste von Anfang an, dass der Abt ihn mit Hilfe des Monsignore nur in diese triste Gegend verbannt hatte, um ihn loszuwerden. Aber langsam hörte für den Pater der Spaß auf. Es war kalt in Nordhessen. Es war grau. Es war nass, und die Leute waren starrköpfig, wie er es noch nie erlebt hatte.
    Karla hatte ihren Umhang fest um sich geschlagen und trat von einem Bein auf das andere. «Pater Fürchtegott, kommt schnell. Der Sturm kann jeden Augenblick losbrechen. Die Vögel haben schon aufgehört zu singen.»
    Ihr letztes Wort ging in einem gewaltigen Heulen unter. Der Wind zeigte seine ganze Kraft in der ersten Böe. Er bog die Wipfel der jungen Bäume bis zum Boden nieder, zauste die Sträucher, riss an Karlas Kleidern und biss Pater Fürchtegott in die Ohren. Karla formte die Hände vor dem Mund zu einem Trichter. «Kommt, schnell. Es ist gefährlich im Wald. Der Sturm kann Äste zu Boden schleudern und Bäume knicken, als wären es Strohhalme.»
    Pater Fürchtegott nickte. Er stemmte sich gegen eine Böe, beide Arme um seinen frierenden Körper geschlungen. Karla ging mit gesenktem Kopf vor ihm her. Sie war so klein und schmal, dass der Wind sie manchmal ins Taumeln brachte.
    Sie kämpften sich über endlose Äcker, duckten sich unter den Böen. Einmal wandte Karla sich um und rief dem Pater etwas zu, doch der Sturm riss ihr die Worte vom Munde weg.
    Pater Fürchtegott glitt aus, fiel auf den matschigen Boden, riss sich die Knie an einem Stein auf. Ein Zweig ritzte seine Wange, und warmes Blut lief darüber.
    Der Sturm wurde mit jedem Augenblick heftiger. Bedrohlich schwarze Wolken trieben wie wild gewordene Schafe am Himmel entlang, bäumten sich auf, wuchsen ins Unendliche. Dazwischen blitzte hin und wieder ein Streifen schwefelgelben Lichtes. Pater Fürchtegott schien es, als kämpften sie schon seit Stunden gegen den Sturm, doch die vom Wind in Stücke gerissenen Rauchsäulen kamen nicht näher. Seine Beine schmerzten, die Wangen brannten, und die Zähne klapperten laut. Kaum vermochte er es noch, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Endlich, als den Pater fast alle Kräfte verlassen hatten, erblickten sie ein Kirchlein in einem Tal.
    «Dort», schrie Karla, packte den Pater bei der Hand und zog ihn die letzten Meter. Pater Fürchtegott hielt den Blick fest auf die Kirche gerichtet, als fürchtete er, sie würde verschwinden, wenn er sie auch nur für einen Lidschlag lang aus den Augen verlor.
    Das Kirchlein stand in der Mitte des Dorfes. Von dort zog sich eine Gasse nach links und nach rechts, die in einem Bogen außerhalb der Ortschaft auf die Handelsstraße traf. Eine zweite Gasse führte im rechten Winkel von Süd nach Nord und kreuzte die erste Gasse direkt am Kirchlein im rechten Winkel, sodass das Gotteshaus in der

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