Teufelspfad
Sesselkanten und den Teppich darunter. Beim Essen trug er immer Latexhandschuhe, also gab es kein Problem mit Fingerabdrücken, und das Besteck hatte er mit heißem Wasser und Seife gespült, sodass sich daran auch keine DNA mehr finden lassen sollte. Trotzdem ging er auf Nummer sicher und öffnete vorsichtig die Tür. Zum Glück hatten die Zimmermädchen den Wagen noch nicht weggeräumt. Er holte das Tablett wieder herein. Später würde er alles zusammen irgendwo verbrennen.
Der Süden gefiel ihm sowieso nicht. Hier war es viel zu ruhig. Die ganzen zirpenden Vögel und lächelnden Menschen. Sie stellten alle naselang Blickkontakt her und sprachen einen an und wurden misstrauisch, wenn man nicht antwortete. Eine sehr gefährliche Kombination. Er brauchte das düstere Großstadtleben; viele Menschen mit zu vielen Problemen, als dass sie ihm einen zweiten Blick schenken würden. Dort fiel er nicht auf. Er war ein wenig größer, mit braunen Haaren und braunen Augen. Nicht gut aussehend, aber auch nicht hässlich. Er hatte keine hervorstechenden Merkmale. Seine Haare ließ er sich in Friseurläden schneiden, bei denen man keinen Termin brauchte; seine Einkäufe tätigte er in großen Supermärkten, obwohl es da schwerer war, die Biowaren zu bekommen, nach denen es seinen Körper verlangte. Aber die Spezialgeschäfte hatten weniger Kunden und außerdem die Tendenz, sich ihre Stammkunden zu merken. Er wollte aber nicht bemerkt werden.
Er würde sich ein Auto aus dem Parkhaus borgen, nach Atlanta fahren und es dort stehen lassen. Dann würde er sich irgendeinen billigen Wagen von einem Gebrauchtwagenhändler kaufen und mit ihm nach Florida fahren. Miami. Eine Hafenstadt. Dort würde er eine Kreuzfahrt nach Südamerika buchen.
Doch er würde nicht wirklich das Land verlassen. Nein. Nachdem er die Spur gelegt hätte, würde er nach Indianapolis zurückkehren, zu der süßen Kellnerin in dem Steakhaus. Das war ein guter Ort, um neu anzufangen.
Ach ja. Das Spiel hatte Spaß gemacht, solange es gedauert hatte.
Vielleicht würde er am Büro des Zielobjekts vorbeifahren. Einfach nur, weil er es konnte. Ihr zum Abschied winken. Eine Schande. Wirklich. Es wäre lustig gewesen, ihr beim Sterben zuzusehen.
52. KAPITEL
Taylor war kein Fan von betreuten Wohneinrichtungen. Das hatte rein psychologische Gründe – ihr Großvater war an Alzheimer erkrankt, bevor die Krankheit in aller Munde war. Damals nannte man es einfach Demenz, und die Altersheime waren düster und still, abgesehen von dem Stöhnen und dem Gemurmel der Insassen. Sie erinnerte sich noch, dass es dort immer irgendwie komisch gerochen hatte. Als ihr Großvater starb, war sie zwar noch sehr jung gewesen, aber den Gestank des Heims, in dem er gelebt hatte, würde sie nie vergessen. Es hatte nach Vernachlässigung, Traurigkeit und Fäulnis vermischt mit Urin und dem süßen, hefigen Geruch des bevorstehenden Todes gerochen. Daran erinnerte sie sich noch.
Als sie jetzt also durch die Tür des Guardian-Wohnheims trat, war sie überrascht, Rosen zu riechen. Das Haus war hell und freundlich. Sauber. Überall lächelnde Gesichter. Das komplette Gegenteil dessen, was sie erwartet hatte.
Sie ging zum Empfangstresen, stellte sich kurz vor und erklärte ihr Anliegen. Eine Frau in rosafarbener Schwesterntracht, die mit weißen und violetten Herzen bedruckt war, grinste von einem Ohr zum anderen, als Taylor den Namen Joshua Fortnight erwähnte. Er bekam nicht viel Besuch.
Das Heim hatte einen kleinen Innengarten, eine Art Gewächshaus, wo sie Rosen und Orchideen züchteten und auch ein paar Iris und Hortensien, was, wie die Schwester erklärte, die Patienten glücklich machte und ihnen etwas zu tun gab. Vor allem in den kalten Wintermonaten, wenn sie nicht nach draußen konnten und ihre Ausflüge daraus bestanden, in den Shoppingcenter zu gehen anstatt in den Zoo.
Wie sich herausstellte, hatte Joshua ein besonderes Händchen für Blumen, vor allem für die sehr empfindlichen Orchideen. Zwei Mal am Tag spielte er ihnen etwas auf seiner Flöte vor, obwohl er durch sein Treacher Collins immer tauber wurde und die Töne ein wenig schief klangen.
„Bitte regen Sie ihn nicht auf“, bat die Schwester. „Es geht ihm bei uns so gut.“
Ihn aufregen. Ja, in ein paar Stunden wäre die Schwester ernsthaft verärgert, wenn sie herausfand, dass Taylor den armen Joshua noch einmal den schlimmsten Tag seines Lebens hatte durchleben lassen. Doch sie hatte keine Zeit, es vorsichtig
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