Teufelspfad
Risiko ein, aber Baldwin wusste, dass sie zu spät kommen würden. Taylor würde alles tun, um Sam zu retten, inklusive mit fliegenden Fahnen ins Haus zu stürmen und dabei riskieren, selber getötet zu werden.
Glaubte sie wirklich, sie käme damit durch, Copeland zu töten? War sie deshalb die letzten Tage über so still gewesen? Er hätte es kommen sehen sollen, hätte erkennen müssen, dass sie es auf sich nehmen würde, das Leben des Pretenders zu beenden.
Wenn er weniger mit sich und seinen eigenen dummen Problemen beschäftigt gewesen wäre, hätte er ihren Rückzug bemerkt. Normalerweise konnte er in ihr lesen wie in einem offenen Buch, doch dieses Mal hatte er es nicht einmal versucht. Das war sein Fehler gewesen. Alles, was jetzt passierte, war ganz allein seine Schuld.
Sein Telefon klingelte. Charlaine Shultz’ Name erschien auf dem Display.
„Charlaine, was ist los?“
„Ich habe dir gerade das aktuellste Foto von Ewan Copeland geschickt. Der Schönheitschirurg sagt, er hat in den letzten zehn Jahren mindestens fünf Operationen an ihm vollzogen.“
„Wir wissen, wer er sein soll; lass mich das nur kurz anhand des Fotos bestätigen. Eine Sekunde.“
Er schaute sich den Anhang an und erkannte das Gesicht – Barclay Iles.
„Das ist er. Gut gemacht, Charlaine. Wir wissen jetzt auch, wo er sich aufhält. Ich sage dir Bescheid, wie die Dinge gelaufen sind.“
„Pass auf dich auf, Chef.“
„Mach ich. Danke.“
Sie rasten in Richtung West End. Der morgendliche Berufsverkehr wurde immer wieder von ungünstig geschalteten Ampeln und Joggern aufgehalten, die meisten von ihnen Studenten der Vanderbilt, die vor der ersten Vorlesung noch eine Runde drehten. Sie waren aber zum Glück in der Gegenrichtung unterwegs, aus der Stadt heraus, und kamen gut voran. Nachdem sie den Centennial Park passiert hatten, lag die Straße nahezu verlassen vor ihnen. An der Kreuzung West End und Murphy Road überfuhr Baldwin bei Rot die Ampel. Er schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Zwei Minuten waren vergangen, seitdem er mit Taylor gesprochen hatte.
Er erzählte Marcus, was Charlaine berichtet hatte. „Wenigstens haben wir jetzt eine offizielle Bestätigung.“
Marcus schüttelte den Kopf. Seine Miene war angespannt. „Ich kann nicht glauben, dass wir die ganze Zeit mit dem Kerl zusammengearbeitet haben. Was für ein hinterhältiger Scheißkerl.“
„Da sagst du was.“ Baldwin trat aufs Gas.
Selbst wenn sie alle Ampeln ignorieren würden, bräuchten sie noch mindestens fünf Minuten bis nach Belle Meade.
Er ertappte sich dabei, ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken. Bitte Gott, nimm sie mir nicht weg. Lass mich noch rechtzeitig ankommen .
57. KAPITEL
Copeland war wieder weit genug zu Sinnen gekommen, um Angst zu zeigen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, und Taylor sah den Schmerz und die Furcht in seinen Augen. Perfekt. Genau, wie sie es sich erträumt hatte.
Er war weit genug lahmgelegt, dass sie sich traute, Sam hier herauszubringen. Ohne den Blick von ihm zu wenden, fragte sie: „Bist du in Ordnung, Sam? Kannst du gehen?“
Sam weinte. „Ich weiß es nicht. Gott sei Dank, Taylor, dass du da bist. Ich dachte, du würdest nie mehr kommen.“
„Hat er dich verletzt?“
„Ich habe das Baby verloren.“
Die leise, gebrochene Stimme ihrer besten Freundin riss Taylor beinahe entzwei. Sam war die Starke von ihnen, die Furchtlose, die Gute. Taylors wegen befand sie sich in dieser Situation. Das würde sie sich nie verzeihen.
Ein weiterer Toter durch Copelands Hand. Taylor musste sich zwingen, nicht den Abzug zu drücken. Noch nicht. Sie konnte nicht zulassen, dass Sam ihr dabei zusah. Sie musste sie aus dem Raum schaffen.
Sams Hände waren an die Rückenlehne des Stuhls gefesselt. Ohne hinzusehen, benutzte Taylor ihren Schlüssel und öffnete die Handschellen ein wenig ungelenk mit ihrer linken Hand, während sie die Waffe immer noch auf Copeland gerichtet hielt. Er beobachtete sie misstrauisch. In seinem Blick lag keine Spur von Selbstvertrauen mehr.
Sie half Sam auf die Füße. Sam schwankte ein wenig, dann fand sie ihr Gleichgewicht. Sie klammerte sich so fest an Taylors Arm, dass Taylor spürte, wie sich ein blauer Fleck bildete.
Sie half ihr durch den Raum, wobei sie rückwärts ging und die Pistole stets ruhig auf Copeland gerichtet hielt.
„Alles wird gut, Liebes, das verspreche ich. Geh die Hintertreppe hinunter. Dort gibt es einen kurzen Tunnel, durch den du nach draußen
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