Teuflische Kuesse
für den Rest ihres Lebens Wesley Trumbles Rücken
rasieren zu lassen oder Tom Dillmore hinter den Ohren zu schrubben? Laura
schauderte, Panik schnürte ihr die Kehle zu. Wenn Gott ihr bis zu ihrem
Geburtstag keinen Gentleman schickte, blieb ihr keine andere Wahl, als ihren
Stolz zu vergessen und einen der Männer aus dem Dorf zu heiraten.
Laura
fürchtete fast, dass Seine Antwort auf ihre Gebete ihr in Form eines Tooley
Grantham über die Wiese entgegengetrampelt kommen könnte und lief tiefer in
den Wald hinein. Laura hatte Lady Eleanor während ihrer letzten Tage versorgt
und nach ihrem Tod Arden Manor verwalten müssen. Sie hatte seither wenig
Gelegenheit zum Spazierengehen gehabt. Oder zum Träumen.
Die
sonnengesprenkelten Schatten lockten sie vorwärts. Laura mochte alt genug sein
zu wissen, dass sie auf nichts Bedrohlicheres als ein kleines Stachelschwein
oder ein paar Giftpilze stoßen würde, doch die Geheimnisse des Waldes erschienen
ihr immer noch unwiderstehlich. Je tiefer sie sich in den Wald wagte, desto
verwobener wurde über ihr das Astwerk. Nur noch spärliches Sonnenlicht sickerte
hindurch und schaurig-schöne Kühle lag in der Luft.
Während sie
so dahinwanderte, kehrten ihre Gedanken zu ihrem Dilemma zurück. Würde sie es
ertragen, einen Huey, Tom oder Tooley zu heiraten, wo sie doch stets von einem
Ga briel, Etienne oder Nicholas geträumt hatte? Wenn sie einen Nicholas
heiratete, konnte sie ihn Nick nennen, wenn sie sich kabbelten und Nicky in den
Augenblicken großer Leidenschaft. Natürlich hatte sie noch keinen Augenblick
großer Leidenschaft erlebt, aber sie war optimistisch. Er konnte sie ja auch
bei einem Kosenamen nennen, zum Beispiel ... na ja, da würde ihm schon etwas
einfallen. Laura war dermaßen beschäftigt mit den Vorzügen des imaginären
Gentleman, den sie heiraten würde, dass sie fast in die enge, felsgesäumte
Schlucht gefallen wäre, die ihr den Weg abschnitt.
Sie hielt
nach einem der umgefallenen Baumstämme Ausschau, die man normalerweise als
Brücke benutzten konnte, da sah sie ihn.
Sie
erstarrte und zwinkerte wie verrückt. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass
sie in diesem Wald eine Phantasie fortzwinkern musste. Als Kind hatte sie oft
innegehalten und wie wahnsinnig gezwinkert, damit eine scheußliche Fratze
wieder zu dem knorrigen Ast wurde, der er eigentlich war oder ein grauhaariger
Zwerg wieder zu einem flachen Felsbrocken.
Aber dieses
Mal half alles verzweifelte Zwinkern nichts. Laura kniff die Augen zu, zählte
bis zehn und öffnete sie wieder.
Er war
Realität, schlief auf einem Bett aus Moos am Rande der Schlucht, direkt unter der
ältesten Eiche im Wald. Laura ging wie in Trance auf ihn zu. Hätte nicht ein
Sonnenstrahl die Düsternis durchdrungen und ihn in goldenem Schimmer gebadet,
sie hätte ihn vielleicht gar nicht bemerkt.
Sie kniete
sich mit wachsendem Schrecken neben ihn hin, so bleich und reglos wie er dalag.
Mit zitternden Fingern öffnete sie die oberen zwei Knöpfe seiner Weste und
schob die Hand hinein. Das gestärkte Hemd drückte sich mit jedem seiner
gleichmäßigen Atemzüge an ihre Handfläche.
Laura hatte
gar nicht bemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte, bis
sie benommen vor Erleichterung über ihm zusammensackte. Sein Herz schlug fest
und regelmäßig unter ihrer Hand. Er war am Leben.
Aber wie
war er hierher gekommen? Laura schaute beunruhigt ins Gebüsch. Keine Spur von
einem Pferd, keine verräterischen Spuren einer Auseinandersetzung. War er das
Opfer eines Verbrechens? Eines Entführungsversuchs oder eines Raubüberfalls?
Das verschlafene kleine Dorf Arden hatte Derartiges zwar noch nicht gesehen,
aber das hätte man genauso von gut aussehenden, fremden Männern in eleganter
Aufmachung behaupten können. Laura durchwühlte die Taschen seiner Reitjacke.
Seine Börse war so unberührt wie sein Auftauchen rätselhaft.
Als sei er
direkt vom Himmel gefallen.
Laura hockte
sich auf die Fersen, und ihre Augen wurden weit.
Es ließ
sich nicht bestreiten, er hatte das Antlitz eines Engels. Nicht das eines
pausbäckigen, rosigen Puttos, wie sie Lottie so gerne in ihre Fibel zeichnete,
sondern das eines hoch gewachsenen Seraphim, der mit seinem Flammenschwert die
Himmelspforten bewachte. Er war von gänzlich männlicher Schönheit, mit
ausdruckstarken Augenbrauen und herrischem Kinn. Die majestätischen
Wangenknochen und die nach innen gewölbten Wangen gaben ihm einen leicht slawischen
Anstrich, aber die Andeutung eines
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