Teuflische Stiche
als die schöne Gertrud. Wir hatten noch nicht das Vergnügen. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Es ist mir bewusst, dass es absolut nicht selbstverständlich ist, mit dem Leiter vom Ersten Fachkommissariat persönlich sprechen zu dürfen.«
Konnert entzog ihr seine Hand, um sie an sich vorbeigehen zu lassen, und wies auf die offene Tür des Fahrstuhls.
»Ich würde die Treppe bevorzugen, Herr Hauptkommissar. Das tut der Kondition gut. In meinem Alter muss man jede Gelegenheit wahrnehmen, um Herz und Lunge zu trainieren.«
Mit einem leisen Stöhnen schwenkte er hinüber zum Treppenhaus.
»Wie ich schon sagte«, sie stürmte die Stufen hinauf, »ich bin mir des Privilegs bewusst, mit Ihnen persönlich sprechen zu dürfen. Meiner Meinung nach sind Sie der beste Kommissar in ganz Oldenburg.«
»Na, na, nicht übertreiben«, brachte Konnert heraus und hechelte hinter seinem Besuch her.
»Sie kümmern sich. Sie behalten die Ruhe. Sie geben nicht auf. Sie beachten auch die kleinen Probleme. Sie bleiben dabei so bescheiden.« Bei jedem Satz nahm sie eine Stufe. Auf dem Treppenabsatz meinte sie: »Sie lassen sich nicht von Kritikern und dummen Leserbriefschreibern verunsichern. Sie nicht!«
Woher will sie das denn wissen, fragte sich Konnert, und was will sie mit all den Schmeicheleien erreichen?
Die schöne Gertrud war schon drei Stufen höher: »Sie sind höflich. Sie wissen, wie man sich einer Frau gegenüber zu verhalten hat.« Für diesen Satz brauchte sie zwei Schritte und ratterte weiter ihre Komplimente herunter, bis sie es in den dritten Stock geschafft hatte. Sie las das Schild neben der Doppeltür und wartete. Etwas später kam auch Konnert an und hielt ihr den Eingang zum Großraumbüro auf.
Die Mitarbeiter des Fachkommissariats für Straftaten gegen Leben und Gesundheit sahen von ihren Arbeiten auf und verfolgten, wie ihr Chef die schöne Gertrud in sein Büro geleitete. Viele konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es fehlte nur noch, dass sich die schlanke, extravagant gekleidete Frau beim Kommissar in Jackett und Bügelfaltenhose unterhakte.
Konnert schloss die Tür zu seinem Arbeitszimmer, zog das Rollo vor die Scheibe, bot seiner Besucherin einen Stuhl an und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Was kann ich für Sie tun, Frau Bulken?«
»Nun lassen Sie getrost die Bulken weg. Ich bin Gertrud, von mir aus auch die schöne Gertrud.«
Er sagte dazu nichts, wie so oft erschien ihm Schweigen richtiger als viele Worte zu machen.
»Ein Freund von mir ist verschwunden. Ich will eine Vermisstenanzeige aufgeben.«
»Dann erzählen Sie mal.«
Die schöne Gertrud nahm sich Zeit und beschrieb, wo und wann und wie sie Freiherr Sibelius Balthasar von Eck kennengelernt hatte. Sie erwähnte, wie zuverlässig und berechenbar er in seinem Verhalten sei und welche Befürchtungen sie hegte.
Da hakte Konnert nach: »Warum meinen Sie, von Eck sei entführt oder ermordet worden?«
»Ihn umgibt immer etwas Geheimnisvolles, etwas Dunkles, etwas anziehend Verruchtes, etwas … ich suche die richtigen Worte. Er …«
Das Telefon klingelte. Kriminaloberrat Wehmeyer rief an. »Konnert, vergessen Sie bloß nicht die Feier zur Verabschiedung von Staatsanwalt Doktor Görner. Wenn Sie wollen, kann ich Sie mitnehmen. Es müssen ja nicht zwei Autos fahren. Umweltschutz und so. Sie wissen schon.«
»Danke für die Erinnerung. Wann kommen Sie?«
»Wir treffen uns um drei auf dem Parkplatz. Und wehe, Sie sind nicht da.«
»Ich werde mir Mühe geben, pünktlich zu sein.«
»Das ist mir zu vage, wie ich Sie kenne. Ich erwarte Sie um drei auf dem Parkplatz, egal was passiert!«
Konnert legte auf und sah seine Besucherin fragend an.
»Ich hab’s. Sibelius hat Angst. Immer wenn ihm ein Fremder zu nahe kommt, zieht er sich mit entsetztem Blick zurück oder wird abweisend aggressiv. Ja, er gerät regelrecht in Panik. Warum das so ist, weiß ich nicht.«
Konnert griff zum Telefon, bat eine Mitarbeiterin, die Vermisstenanzeige aufzunehmen, und brachte die schöne Gertrud zu ihr. »Wir werden uns darum kümmern und versuchen, von Eck zu finden. Auf Wiedersehen.«
»Vielen Dank, dass Sie mir Ihre kostbare Zeit gewidmet haben.« Nach einem Moment fügte sie hinzu: »Wissen Sie eigentlich, wie umständlich es ist, Sie telefonisch zu erreichen? Sie könnten mir Ihre Durchwahl geben, dann melde ich mich direkt, falls ich etwas über Sibelius erfahre.«
Aus seiner Gesäßtasche zog Konnert sein Portemonnaie
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