Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teuflische Stiche

Teuflische Stiche

Titel: Teuflische Stiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Brüning
Vom Netzwerk:
Seite hatte Richard Wachsmuth mit seinen Geschwistern und der übrigen Familie Platz genommen. Rechts saßen die Angehörigen von Karl Dreher mit gesenkten Köpfen. Leise, meditative Orgelmusik erfüllte den Raum der Auferstehungskirche.
    Konnert hatte sich ans Ende einer Bank unter den Fenstern gesetzt. Er betrachtete die beiden einfachen, braun gebeizten Fichtensärge im Chorraum und presste die Lippen aufeinander. Wenn ein paar Männer weniger ehrgeizig und dafür kooperativer gewesen wären, könnte Renate Dreher noch leben, ging es ihm durch den Kopf. Und Karl Dreher könnte noch leben, wenn ein Mann seine Entscheidungen weniger vom Schlafbedürfnis hätte bestimmen lassen.
    »Darf ich?« Die Frage der Staatsanwältin irritierte ihn kurz. Dann rückte er in die Bank und machte ihr Platz.
    Der Pastor sprach nicht von Schuld, auch nicht über verpasste Lebenschancen. Er erzählte die Geschichte aus der Bibel, wie in Israel einmal ein neuer König ausgesucht worden war. Der Prophet kannte wohl die Familie, aus der er kommen sollte. Nur welchen ihrer Söhne Gott ausgesucht hatte, das wusste er nicht. Einer nach dem anderen trat vor. Bei jedem hatte der Mann Gottes den Eindruck, der sei es nicht. Als sieben Söhne an ihm vorbeigegangen waren, lag keine Entscheidung vor. Da fragte der Prophet den Vater: »Sind das alle deine Söhne?« Der druckste etwas herum und sagte dann bange: »Nein, da ist noch der kleine, der Schafhirte. Der kommt aber als König nicht infrage. Bestimmt nicht.« Dennoch wurde er geholt und Gott gab sein Okay. Am Ende des Castings, den Ausdruck gebrauchte der Pastor, bekam die Familie Davids in der Bibel und die Trauergemeinde in der Auferstehungskirche zu hören: »Der Mensch sieht, was vor Augen ist. Gott aber sieht das Herz an.«
    Nach einer Sprechpause bat der Pastor die Anwesenden: »Lasst uns nicht auf die schlichten Fichtensärge sehen. Wir wollen auch nicht die äußeren Lebensumstände von Renate und Karl Dreher betrachten, auch nicht die Art und Weise ihres Sterbens. Besser ist es, sie mit den Augen Gottes anzusehen. Dann entdecken wir geliebte Menschen, auch und erst recht von Gott geliebte Menschen, die geliebt haben.«

    Bevor die Särge hinausgetragen wurden, zwängte sich Konnert an der Staatsanwältin vorbei aus der Bank und verließ die Kirche. Er ging zügig zu seinem Platz vor den Steinplatten mit dem ausgesparten Kreuz. Gleich fiel ihm ein, dass er hier mit Zahra gesessen hatte, verdrängte den Gedanken aber sofort und erinnerte sich bewusst an den Augenblick, als Venske ihm hier vom Selbstmord Karl Drehers berichtet hatte.
    Die Blumenschale auf dem Rasen war entfernt worden. Er stellte sich vor, wie der Friedhofsgärtner in ein paar Tagen mit seinem Aufsitzmäher über die Stelle fahren würde. Ein Fleck mit welkem Gras würde sichtbar bleiben. Und bis zum übernächsten Mähen würde dann wieder alles gleichmäßig grün sein. Niemand würde einen Unterschied feststellen. Nur er, er würde jedes Mal genau dort hinschauen und an Karl Dreher denken.
    Sein Handy vibrierte. Er fummelte es aus seiner Hosentasche und meldete sich.
    »Wir haben uns so lange nicht gesehen. Ich hab solche Sehnsucht nach dir. Können wir uns nachher treffen? Ich habe um drei Uhr Feierabend.« Ihre Stimme klang hell und erwartungsvoll.«
    »Zahra, ich möchte dich auch gern sehen. Aber nach einer Nacht ohne Schlaf brauche ich erst mal mein Bett. Zum Abendessen bin ich dann bei dir.«

    Vom Weg hinter ihm hörte er Schritte. Kurz darauf betrat Dorothee Lurtz-Brämisch den Platz. Zwischen dem Grün der Büsche erschien sie ihm nicht mehr so unnahbar und abweisend wie in ihrem Büro.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Er rückte ein wenig zur Seite, und sie setzte sich. Aus einem Päckchen Reval wählte sie sorgfältig eine Zigarette aus, als wären die einzelnen von unterschiedlichem Geschmack und ungleicher Qualität.
    Konnert stopfte sich eine Pfeife und gab ihr und sich Feuer. Als die Frau ihre Kippe austrat, hatten sie noch kein Wort miteinander gesprochen.

    ENDE

Der Autor
    Manfred Brüning wurde 1944 in Bad Salzuflen geboren. Der gelernte Schlosser wurde später Diakon, arbeitete 27 Jahre als Pastor einer Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde in Ostfriesland und lebt jetzt im Ammerland. Er ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern.
    Nachdem er mehr als eintausend Predigten geschrieben hat, erschien 2012 sein erster Kriminalroman Gnadenlose Engel, dem nun mit Teuflische Stiche

Weitere Kostenlose Bücher