Teuflische Stiche
erleichterten Beifall aus, den Dr. Görner mit besänftigenden Handbewegungen beendete. »Aber Scherz beiseite, meine Damen und Herren«, rief er in den Saal, »das Zitat verbuche ich als Erfolg meines Wirkens in Oldenburg. Wenigstens einer hat verstanden, dass ein Witz und ein Lachen motivierende, befreiende, ja erlösende Wirkung hat. Wahrscheinlich ist das Ergebnis meiner Bemühungen um Fröhlichkeit bei der Arbeit sehr viel größer, als ich bisher angenommen habe. Aber Scherz beiseite.«
Alle lächelten verhalten. Einige applaudierten.
»Sehr geehrter Herr Staatsanwalt! Wie Sie ja wissen, mag ich hektische Entscheidungen nicht und verschiebe die eine oder andere Aufgabe gern mal auf später. Manchmal überrascht mich dann ein Termin. So geht es mir heute. Deshalb bin ich nicht dazu gekommen, eine amüsante Abschiedsrede vorzubereiten. Mir ist leider auch kein neuer Witz für Sie eingefallen. Bitte entschuldigen Sie. Ich improvisiere.« Nachdem Konnert sich an seine Nasenwurzeln gefasst hatte, fuhr er fort: »Ich wollte Ihnen immer schon eine Frage stellen. Vielleicht bekomme ich dafür jetzt die letzte Chance.« Er machte eine Kunstpause, als dächte er angestrengt über die richtige Formulierung nach. »Die Frage heißt: Was ist der Unterschied zwischen Gott und einem Staatsanwalt?«
Im Saal wurden leise mögliche Lösungen diskutiert. Dr. Görner stellte sich neben Konnert und griff zum Mikrofon. »Die Antwort lautet: Gott hält sich nicht für einen Staatsanwalt.«
Bei einigen Zuhörern dauerte es etwas länger, bis sie begriffen. Konnert verbeugte sich anerkennend und spendete nun seinerseits Beifall. Der Staatsanwalt wirkte ein wenig verlegen und gab Konnert das Mikrofon zurück.
»Herr Doktor Görner, ich danke Ihnen dafür, sicherlich auch mit Zustimmung meiner Kolleginnen und Kollegen, dass Ihnen ständig bewusst ist, nicht Gott zu sein. Danke, dass Sie ein menschlicher Entscheider gewesen sind, bei dem wir immer viel Verständnis für unsere manchmal eigenwilligen Arbeitsweisen gefunden haben.«
Anerkennender Applaus signalisierte Einverständnis. Die Mundwinkel des Staatsanwalts zuckten.
»Aber Scherz beiseite, wir erheben …« Konnert sah auf seine leere Hand und war erleichtert, als Kriminaloberrat Wehmeyer ihm ein Glas reichte. »Wir gratulieren Ihnen zur Beförderung und wünschen Ihnen auch als Oberstaatsanwalt eine erfolgreiche Zeit an Ihrer alten und wieder neuen Wirkungsstätte in Göttingen. Ich persönlich füge hinzu: Gott segne Sie!«
Während sich beide Männer herzlich die Hände schüttelten, raunte Derk van Stevendaal von der Kriminaltechnik seinem Kollegen Struß von Raub und Erpressung zu: »Mich überrascht der Konnert immer aufs Neue. Er kann sogar witzig sein und schafft es auch, lange Sätze zu sprechen, ohne sich zu verhaspeln. Erstaunlich!«
Doch Hans-Gerhard Struß reagierte darauf mit einer säuerlichen Erwiderung: »Es ist doch nicht schwer, jemanden auf die Schippe zu nehmen, wenn dem nichts anderes übrig bleibt, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.«
Gegen fünf Uhr wollte Konnert sich unbemerkt verdrücken, doch dann wurde ihm bewusst, dass er ohne Auto war. Warum bin ich bloß bei Wehmeyer eingestiegen? Jetzt sitze ich hier fest. Er schlich sich trotzdem davon und wurde vor dem Hinterausgang von den Rauchern aufgehalten.
»Adi, solche Reden mögen wir. Kurz, witzig, würzig.«
»Man gut, dass du dich nicht vorbereitet hattest.«
»Komm, qualm eine mit.«
Konnert kramte seine Pfeife aus der Jackentasche und paffte ein paar Minuten mit den Kollegen. Dann verabschiedete er sich und machte sich auf den Weg zu den Bushaltestellen am Bahnhof.
Mechanisch setzte Konnert, den Mantel über dem Arm, einen Fuß vor den anderen. Er beachtete die Blumen in den Vorgärten nicht. Der Gruß eines Nachbarn schreckte ihn aus seinen Gedanken auf, an die er sich schon im selben Moment nicht mehr erinnern konnte. Gewohnheitsmäßig rief er »Moin« zurück, blickte nur kurz hinüber und nickte abwesend.
Im Briefkasten an der Haustür seines Einfamilienhauses fand er Werbezeitungen und den an ihn persönlich adressierten Brief einer Klassenlotterie. Was soll ich mit einer Million Euro?
Wie schon seit Jahren zog er seine Schuhe im Flur aus und ging auf Socken durch die Küche ins Wohnzimmer. Aber die Vorhänge blieben nun tagsüber offen, seine Frau hatte sich vom Krankenbett aus immer gewünscht, dass sie geschlossen wurden. Er blieb auch nicht mehr vor den Bildern
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