Teuflische Stiche
seiner Familie auf der Anrichte neben dem Sofa stehen, um sich mit der Hand auf dem Foto seiner Frau zurückzumelden. Er durchquerte einfach den Raum mit großen Schritten und entriegelte mit einem Ruck die Terrassentür. Draußen ließ er sich in einen einsamen Rattansessel fallen. Automatisch fuhr seine Hand in die Jackentasche, um eine Pfeife hervorzukramen und anzuzünden. Warum rauche ich eigentlich nicht im Haus? Ich wohne hier doch allein und kann tun und lassen, was ich will. Dann qualme ich noch öfter. Ist jetzt ja schon zu viel, stellte er wieder einmal fest.
Und nun?
Sein Versuch, sich zu sammeln und zu beten, gelang ihm nicht. Ihm kamen seine Tochter Ruth und ihr alkoholkranker Ehemann in den Sinn. Sie mag nichts mehr mit mir zu tun haben. Deshalb haben wir schon lange nicht mehr telefoniert. Schlägt er sie nach wie vor? Ich sollte sie anrufen. Er konnte sich nicht dazu aufraffen. Später bestimmt, vertröstete er sich. Und schon tauchte sein Sohn in seinen Gedanken auf. Genau wie Ruth vermeidet er den Kontakt mit mir. Weil ich seine Frau ermuntert habe, sich gegen seinen Wunsch durchzusetzen, nach Koblenz umzuziehen. Das nimmt er mir übel, weil es seine Beförderung verhindert hat. Und wegen meiner Verabredungen mit der viel jüngeren Zahra hält er mich für einen alten, geilen Bock. Was ist im letzten halben Jahr bloß alles schiefgelaufen?
Er inhalierte den Pfeifenrauch und sah den grauen Wölkchen nach. Ich könnte Zahra fragen, ob sie Lust hat, sich mit mir zu treffen. Aber auch das verschob er auf den nächsten Tag. Dann werde ich sie ja beim Frühstück in ihrem Backshop sehen.
Aus dem Kühlschrank holte er eine angebrochene Flasche Mineralwasser und erinnerte sich, dass es die letzte aus der Kiste war. Es ist wirklich höchste Zeit, einkaufen zu gehen. Ohne sich die Mühe zu machen, ein Glas aus dem Schrank zu nehmen, trank er schon im Gehen. Das Telefon klingelte. Er blieb in seinem Sessel auf der Terrasse sitzen. Als der Anrufer keine Ruhe gab, erhob er sich verdrießlich.
Venske rief an. »Ich weiß jetzt, wo der Penner wohnt.«
»Du meinst, wo Freiherr Sibelius Balthasar von Eck zu Hause ist.«
»Ja genau, den meine ich. Er heißt aber gar nicht Freiherr Sibelius Balthasar von Eck.« Venske dehnte die Silben.
Konnert wartete mal wieder darauf, dass der andere weiterredete.
»Den Freiherrn hat er sich wohl als Künstlernamen zugelegt. Sein bürgerlicher Name ist Klaus Stelzig.«
»Wie hast du ihn gefunden?«
»Ich habe hier und da angerufen, auch bei der Diakonie. Die unterhält einen Tagesaufenthalt für Wohnungslose. Da ist er mal aufgetaucht. Die Leiterin konnte sich an ihn erinnern. Sie wusste aber nicht mehr, was er damals gewollt hatte. Sie hat aber in ihren Unterlagen seine Adresse gefunden.«
»Gut gemacht!«
»Ich fahre jetzt hin. Willst du mit? Soll ich dich abholen?«
Nach kurzem Nachdenken lehnte Konnert ab: »Das schaffst du allein. Ich muss hier noch einiges erledigen. Mach’s gut.«
***
Die abgestoßene Haustür des alten Mietshauses stand halb offen. Venske sprang schwungvoll die drei ausgetretenen Sandsteinstufen hoch, stieß mit dem Fuß die Tür ganz auf und schaute in einen dämmerigen Flur. Es roch nach ungelüftetem Keller und Feuchtigkeit. Wo sich einmal ein Lichtschalter befunden hatte, ragte nur noch ein abgerissenes Kabel aus der Wand. Die Drähte waren zusammengedreht und mit schwarzem Isolierband umwickelt. Eine einsame Glühbirne brannte unter der fleckigen Decke. Rechts hingen blecherne Briefkästen. Aus einigen quollen Werbeprospekte, andere hatte man aufgebrochen, nur auf wenigen klebten Namensschilder. Keiner trug den Namen Stelzig oder von Eck.
Er schritt auf die nächstbeste Tür im Flur zu. Die Klingel funktionierte nicht, also klopfte er. Er konnte Geräusche aus der Wohnung hören. Als niemand öffnete, hämmerte er mit der Faust auf das Holz. Er wollte sich gerade umdrehen, um mit dem Absatz gegen die Tür zu treten, als ein unrasierter Siebzigjähriger in Trainingshose und Unterhemd aufmachte. »Mal nicht so stürmisch, junger Mann! Immer mit der Ruhe, wenn ich bitten darf. Und erst einmal Guten Abend .«
»Ich suche Klaus Stelzig.«
»Was bitte haben Sie gesagt?« Der Alte hielt sich eine Hand hinter das rechte Ohr.
»Klaus Stelzig!«
»Damit kann ich nicht dienen. Ein Herr mit diesem Namen wohnt hier nicht. In dieser Wohnung leben Werner und Hildegard Kuschkowitz.«
»Ja, schon klar. Aber wo ist die Wohnung von Klaus
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